Angst, Verhaltenstherapie und Qigong – Teil II
Mag. Franz Wendtner
In diesem, dem zweiten Teil von „Angst, Verhaltenstherapie und Qigong“, soll – nachdem im ersten Teil auf Angstkrankheiten, Verhaltenstherapie und Qigong eingegangen wurde, wie angekündigt, das Experiment „Qigong in der verhaltenstherapeutischen Angstbehandlung“ von Thomas Hölzl dargestellt werden.
Einleitung
In diesem Experiment, das Inhalt der Diplomarbeit von Thomas Hölzl war, sollte mit Hilfe ausgewählter Qigongübungen versucht werden, die psychische Befindlichkeit von Angstpatienten positiv zu beeinflussen. Das Hauptinteresse der Untersuchung galt der Frage, ob Qigong und Verhaltenstherapie miteinander vereinbar sind, und ob Qigong als Therapiemethode von den Patienten akzeptiert werden würde.
Problemstellung
Folgende zwei Fragenkomplexe bildeten den Schwerpunkt des Experimentes:
- „Sind Qigong-Übungen und die moderne Verhaltenstherapie miteinander vereinbare Therapieformen und wird Qigong als Behandlungsmethode von den Angstpatienten als solche akzeptiert?“
- „Können durch das Üben von Qigong das subjektive Wohlbefinden gesteigert und ein emotionaler Ausgleich (wenn auch nur kurzfristig) geschaffen werden?
Dabei sollte sich die Frage bezüglich der Veränderbarkeit der psychischen Befindlichkeit infolge des zeitlich begrenzten Untersuchungsdesigns hauptsächlich auf kurzfristige, unmittelbar beobachtbare Veränderungen beschränken. Denn dass eine längerwährende Stabilisierung nicht nur durch das ein paar Mal erfolgte Ausführen von Qigongübungen erreichbar ist, war bekannt.
Übungsauswahl
Die Untersuchung wurde mit Angstpatienten mit verschiedener Symptomatik durchgeführt. Dabei wurde auf eine detaillierte TCM – Diagnose verzichtet, weil diese den Rahmen der Diplomarbeit gesprengt hätte.
Wie im letzten Teil angeführt, wandte Thomas Hölzl speziell auf das Krankheitsbild „Angst“ abgestimmte Qigongübungen an. Diese wurden in Absprache mit LI Xiaoqiu, einem Meister des „Zhang Guangde Daoyin Yangsheng Qigong“ ausgesucht.
Klientel
Auf der Basis von freiwilligen Meldungen zur Teilnahme an dem Experiment wurde die Auswahl der Patienten vom Verhaltenstherapeuten Dr. Alois Kogler vorgenommen.
Diese Patienten befanden sich wegen verschiedener Angstzustände bei Dr. Kogler in einer laufenden Verhaltenstherapie und konnten „zusätzlich“ an der „Qigong – Therapie“ teilnehmen.
Diagnosen
Die verhaltenstherapeutischen Diagnosen reichten von „Generelles Angstsyndrom, soziale Unsicherheit, psychotisch, Depression, Streß, Angst im Beruf zu versagen, bis hin zu Persönlichkeitsstörung und Morbus Crohn (autoimmunologische entzündliche Darmerkrankung).
Aus organisatorischen Gründen wurde die Anzahl der teilnehmenden Patienten auf fünf beschränkt. Die Teilnehmer waren alle männlich, zwischen 20 und 53 Jahren alt und kamen aus verschiedenen sozialen Schichten.
Einige hatten schon Erfahrungen mit Entspannungsmethoden, einer hatte schon einmal Qigong „gemacht“. Die anderen vier Teilnehmer hatten zwar schon von Qigong gehört, aber keine konkreten Vorstellungen davon. Auslösendes Motiv war ein erhoffter Entspannungseffekt.
Durchführung
Die Untersuchung wurde am „Institut für Psychosomatik und Verhaltenstherapie“ (Kogler und PartnerInnen) in Graz durchgeführt.
Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom 2.12.1999 bis zum 10.2.2000, es wurden pro Teilnehmer fünf Qigong – Einheiten in Form von Einzeltherapie abgehalten.
Das Übungsprogramm war für alle Patienten gleich, mit einer Dauer von ein bis eineinhalb Stunden pro Einheit. In diese Zeit wurden alle Übungsfolgen in einer speziellen Abfolge eingebracht.
Abfolge
Begonnen wurde jeweils mit der „Methode zur Regulierung des Körpers“, gefolgt von der „Regulierung der Atmung“ und der „Methode zum Inneren Nähren“. Abgeschlossen wurde die Übungsfolge immer mit Übungen aus dem „Gehirn-Qigong“ mit einem Schwerpunkt auf Anmo im Kopfbereich. Dabei wurde von vier Patienten chinesische Entspannungsmusik gehört. Für das Üben zuhause wurde den Teilnehmern eine umfassende Übungsbeschreibung mitgegeben.
Datenerhebung
Es wurden mehre Informationsquellen zur Erhebung der relevanten Daten genutzt.
- Befragung durch den Verhaltenstherapeuten
Die Patienten wurden im Hinblick auf ihre Gefühle und ihr Befinden befragt, darüber hinaus wurde sowohl eingangs als auch am Ende der Untersuchung eine verhaltenstherapeutische Diagnose gestellt, um eventuelle Veränderungen erfassen zu können.
2. Befragung durch den Untersuchungsleiter
Die Teilnehmer wurden laufend zu ihrer Befindlichkeit und über ihre Erfahrungen beim Üben zu Hause befragt. Mit jedem Teilnehmer wurde ein Abschlußgespräch geführt.
- Fragebögen
Am Ende jeder Übungseinheit und am Abschluß des Experimentes wurde nach dem abschließenden Gespräch ein standardisierter Fragebogen überreicht, mittels dessen u. a. die Befindlichkeit der Patienten vor, während und nach den Qigongübungen erfasst wurde.
- Biofeedback
Unter Biofeedback versteht man „…die Möglichkeit, einen physiologischen Prozess (eine Serie physiologischer Signale) durch unmittelbare (kontingente) Rückmeldung dieses Prozesses in eine vom Individuum oder seiner Umwelt gewünschten Richtung zu modifizieren“ (Birbaumer, 1977). Der Proband kann also – vorwiegend mittels optischer oder akustischer Rückmeldung seiner Befindlichkeit – lernen, physiologische Prozesse selbst zu beeinflussen.
Zur unterstützenden Beurteilung des Befindens der Probanden wurden jeweils unmittelbar vor dem Beginn der Übungen und direkt danach Biofeedbackmessungen (keine Therapie) durchgeführt. Dabei wurden anerkannte Stressparameter wie Pulsfrequenz, Atemfrequenz, Hauttemperatur und elektrischer Hautleitwert abgenommen.
Eine Abnahme der Herz- und Atemfrequenz, sowie des elektrischen Hautleitwertes und eine Zunahme der Hauttemperatur sind Indikatoren für eine Entspannungsreaktion.
Qigongübungen
Die ausgewählten Qigongübungen waren auf folgende vordergründige Behandlungsziele ausgerichtet:
Allgemeine Stärkung von Körper und Geist, Beruhigung der geistigen, gedanklichen und emotionalen Aktivitäten, sowie der Stärkung des Funktionskreises der Nieren zur Verminderung der überwertigen Emotion Angst.
Die im einzelnen hier nicht näher beschriebenen Übungsfolgen wurden dem in den 70er Jahren an der Beijing University of Physical Education von Prof. Zhang Guangde entwickelten „Zhang Guangde Daoyin Yangsheng Gong“ entnommen.
Prof. Zhang Guangde entwickelte sie im Zuge eigener schwerer Erkrankungen und genas. Das „Zhang Guangde Daoyin Yangsheng Gong“ ist in China allgemein anerkannt und wurde in das nationale Gesundheitsprogramm aufgenommen. Thomas Hölzl lernte die Methode in Peking kennen, wo er sich ein Jahr lang intensiv damit befasste.
Übungen/Methoden
Die zur Anwendung gekommenen Übungen waren die: Methode zur Regulierung des Körpers, die Methode zum Inneren Nähren, die Regulierung der Atmung und das Gehirn-Qigong, bei der die Anmo bestimmter Punkte einen wesentlichen Aspekt bildet.
Fallberichte
Im folgenden werden Zusammenfassungen der Statements aus den Abschlußgesprächen mit den Patienten berichtet.
Patient 1 berichtete, sich während der Qigongübungen körperlich und gedanklich nur teilweise entspannen zu können und auch emotional keine gravierenden Veränderungen wahrgenommen zu haben. Für das Alltagsleben hätten diese Übungen keine Veränderungen mit sich gebracht, er gehe aber davon aus, dass sie ihm prinzipiell helfen könnten, v. a. körperlich.
Patient 2 gab an, sich körperlich gut entspannen und gedanklich beruhigen zu können. Er fühlte sich nach den Übungen sehr entspannt, frisch und energievoll. Er finde, dass diese Übungen körperlich und gefühlsmäßig sehr gut für ihn passen würden, er betreibe sie gerne und wolle mit ihnen fortfahren.
Patient 3 konnte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten zunehmend besser entspannen und beruhigen, er gab an, sich nach den Übungen immer sehr entspannt und energievoll zu fühlen, er sei nach den Übungen auch im Alltag „…ganz sicher entspannter geworden“. Die Übungen habe er fix in seinen Alltag integriert.
Patient 4 hatte das Gefühl, durch sein bisheriges Üben sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig entspannter geworden zu sein – auch im Alltag – und er hoffe, sich öfter dazu „überwinden“ zu können. Er gab an, positiv von den Übungen überrascht zu sein. Er sei der Meinung, dass ihm die Übungen auch in der Psychotherapie sehr weitergeholfen haben.
Patient 5 gab an, nach den Übungen entspannter und ausgeglichener zu sein, aufgrund einer Erkrankung kam es jedoch nach der zweiten Einheit zum Abbruch des Experimentes, so dass keine weiteren aussagekräftigen Daten mehr gewonnen werden konnten.
Abschlußstatements
Die Abschlußstatements von Dr. A. Kogler fielen recht unterschiedlich aus und zeigten ein breites Spektrum im Hinblick auf die vom Verhaltenstherapeuten wahrgenommenen Wirkungen des Qigong:
„… während des Qigong keine therapeutischen Fortschritte feststellbar.“
„…therapeutisch in dieser Zeit Fortschritte im Umgang mit Ängsten; weniger Ängste, Wohlbefinden größer, Erfolgserlebnisse..“
Die Biofeedbackmessungen zeigten besonders bei den Patienten 2, 3 und 4 die wohltuende Wirkung der Qigongübungen, sind allerdings aufgrund der Kürze der Messungen und des fehlenden Ausschlusses möglicher Moderatorvariablen als nicht sehr aussagekräftig werten, sie zeigen eher Trends.
Thomas Hölzl kommentierte die Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung und betonte die Wichtigkeit des Sich-für-sich-Zeit-nehmens und dass Qigong kein „Medikament“ ist. Vielmehr ging es in diesem Experiment darum, den Patienten zu zeigen, dass sie selbst die eigene psychische Befindlichkeit positiv beeinflussen können und ihnen über Qigong einen Weg dahin vorzustellen. Im Experiment waren kurzfristig positive Einflüsse auf die Psyche der Patienten feststellbar – langfristige Effekte sind nur durch regelmäßiges Üben zu erreichen.
Abschließend stellt der Autor des Experiments folgendes fest:
- Drei Patienten akzeptieren die Qigongübungen als Therapiemethode vollkommen und erachten eine Anwendung derselben begleitend zu einer Verhaltenstherapie als sehr sinnvoll; ein Patient konnte sich nur teilweise mit diesen Übungen identifizieren und betrachtet Qigong für ihn selbst als eher ungeeignet.
- Eine (positive) Veränderung der psychischen Befindlichkeit ist bei drei Patienten während der bzw. nach den Qigongübungen eingetreten; diese Patienten konnten ohne Zweifel einen positiven Nutzen aus diesen Übungen ziehen. Ein Patient konnte sich mit Hilfe der Übungen nur teilweise gedanklich beruhigen, und es sind keine gravierenden Veränderungen in seiner Befindlichkeit festzustellen gewesen.
Im Schlusswort unterstreicht Thomas Hölzl, dass eine Reform unseres Gesundheitssystems unumgänglich ist und dass der Prävention und der Krankheitsprophylaxe noch immer eine zu geringe Beachtung geschenkt wird. Er fragt, warum nicht auch Qigongübungen ihren Platz in der Krankheitsvorsorge und –behandlung erhalten, denn die Wirkung von Qigong, besonders bei chronischen Erkrankungen ist empirisch abgesichert – eine Meinung, die auch ich vertrete und bereits mehrfach publiziert habe.
Literatur beim Verfasser