Qigong und Flow
Mag. Franz Wendtner
„Wenn wir unsere Aufmerksamkeit mit etwas beschäftigen oder gleichsetzen, werden wir Glück empfinden, solange wir darin vertieft sind. Dieses Glücksgefühl kommt von unserem eigenen Selbst, wenn es auf etwas konzentriert ist, in dem wir aufgehen. Es ist seine eigene Widerspiegelung des Glücks, nicht etwa ein vorhandenes Glück in der Sache selbst, mit der es sich beschäftigt. Es ist so lange glücklich wie es ganz eins mit der Sache ist, von ihr in Anspruch genommen, mit ihr identifiziert. (Kirpal Singh)
Dieses Zitat von Kirpal Singh (1894 -1974) beschreibt – sicher ohne dass dieser Meister des Sant Mat es beabsichtigte – FLOW.
FLOW? Was ist das? Fließen? Kennen wir! Erleben wir im Qigong…
Ja – nur meistens meinen wir damit nur das Fließen des Qi, das wir spüren. Wenn wir uns „FLOW“ aber vor dem psychologischen Hintergrund anschauen, kommt eine weitere Bedeutung hinzu. Eine, die im Rahmen der sogenannten „Positiven Psychologie“ mit ihrem Hauptvertreter Martin Seligman (er hat auch das Konzept der „learned helplessness“ – einer Theorie der Depression – entwickelt) wissenschaftlich untersucht worden ist. Flow – vom englischen „fließen“ oder „strömen“, wie wir es heute betrachten werden, wurde von Mihaly Csikszentmihalyi, einem ungarisch-amerikanischen Psychologen und Sozialwissenschaftler als „Flow-Theorie“ im Hinblick auf Risikosportarten entwickelt und bezieht sich auf ein Völliges Aufgehen in dem, was man gerade tut. Dabei ist das Gleichgewicht zwischen den Anforderungen und dem eigenen Können wichtig. Denn ist die Anforderung zu hoch, kommt es zu Stress. Ist sie zu niedrig, tritt Langeweile ein. In beiden Fällen kann es nicht zu FLOW kommen. Obwohl die Aktivitäten bei denen FLOW auftreten kann, völlig unterschiedlich sein können, sind acht Kriterien/Elemente wichtig.
Mihaly Csikszentmihalyi definierte sie so:
- Wir sind fähig, uns auf unser Tun zu konzentrieren.
Wir sind vollständig konzentriert, sind nicht ablenkbar und hinterfragen unser Tun nicht. Sorgen des Alltags sind nicht relevant. - Die Aktivität hat deutliche Ziele.
Was zu tun ist, um unser Ziel zu erreichen, ist uns bekannt. - Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung.
Wir erfahren oder nehmen unmittelbar wahr, was wir richtig oder falsch gemacht haben. - Wir haben das Gefühl von Kontrolle über unsere Aktivität.
Das GEFÜHL, die Kontrolle zu haben, ist entscheidend. - Unsere Sorgen um uns selbst verschwinden.
Die Bewusstheit um uns selbst ist nicht mehr – es ist durchaus möglich, eine Ausweitung von uns selbst über unsere Körpergrenzen hinaus zu erleben. - Unser Gefühl für Zeitabläufe ist verändert.
In der Regel haben wir das Gefühl, die Zeit vergehe schneller/sei schneller vergangen als sonst.
Nicht alle der o. a. Bestandteile müssen gemeinsam vorhanden sein.
Dr. Klaus Juffernbruch betrachtete in seiner Abschlussarbeit in der Weiterbildung der Medizinischen Gesellschaft für Qigong Yangsheng (2006), Qigong Yangsheng und das Geheimnis des „Flow“ die o. a. acht Leitkriterien auf Qigong bezogen.
Die Ziele sind klar
Es geht um die Qualität der Erfahrung im Hier und Jetzt, im Augenblick des Tuns. Wie die körperlichen Bewegungen auszuführen, der Atem und die Vorstellungskraft einzusetzen sind, ist bekannt.
Die Rückmeldung kommt sofort
Die Wahrnehmungsfähigkeit wird dauernd geschult und ist integraler Bestandteil des Qigong.
Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten entsprechen einander
Anforderung und Können müssen im Gleichgewicht, im „rechten Maß“ sein.
Die Konzentration steigt
Ersetzen von vielen Gedanken durch EINEN Gedanken.
Was zählt ist die Gegenwart
Volle Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick, im Hier und Jetzt, ausschließlich bei der Übung sein.
Die Beherrschung der Situation
Im Rahmen des Übens sollen die Übungen immer aktives und steuerbares Geschehen sein, verbunden mit einem subjektiven Gefühl von Kontrolle.
Das Zeitgefühl verändert sich
Beim Qigong scheint die Zeit viel schneller als sonst zu vergehen.
Das Aussetzen des Ich-Bewußtseins
Ist vielen Qigong Übenden vertraut – wir üben selbstvergessen aus unserer Inneren Mitte heraus, SIND einfach.
Die Zitate zu den jeweiligen Überschriften wurden von mir gekürzt. Die vollständige Arbeit ist unter www.qigong-und-medizin.de/Vortrage/QGAbschlu_arbeitWeiterbildung.pdf im Internet aufzurufen.
Uns Qigong-Übenden ist vieles vom o. a. vertraut als ein zentriertes Tun und ein wie von selbst geschehen. Fühlen, Wollen, Denken und Tun sind vollständig in Übereinstimmung und in Harmonie, Zeit existiert nicht mehr. Wir sind ganz und gar im Hier und Jetzt und mühelos unserem Tun/Nicht tun hingegeben.
Im Zustand des FLOW sind wir in „kardialer Kohärenz“ d. h. Herzschlag, Blutdruck und Atmung sind optimal synchron. Limbisches System (Sitz und Steuerung unserer Emotionen) und Neocortex (Verstand, Bewusstsein) sind in völliger Harmonie. Dieser Zustand optimaler Resonanz zwischen innen und außen lässt sich quantitativ über die Messung der Herzratenvariabiliät als biologischer Bezugsgrösse erfassen und beschreiben.
Wissenschaftliche Untersuchungen aus den verschiedensten Gebieten der Psychologie und Verhaltensforschung, Medizin, Sport- oder Computerwissenschaften haben gezeigt, dass FLOW mit intensiven Glücksgefühlen und tiefer Freude einhergehen.
Im Qigong lernen und erfahren wir, wie und dass wir FLOW immer wieder – durch beständiges Üben und Hingabe – erleben und vertiefen können, in tiefer Freude, Glück und Zufriedenheit.
Literatur beim Verfasser