Qigong und Diabetes
Mag. Franz Wendtner
Als Diabetes mellitus (DM) , zu deutsch „honigsüßer Durchfluss“, oder auch Zuckerkrankheit wird eine immer häufiger auftretende Stoffwechselkrankheit bezeichnet, bei welcher der Leitbefund „zuviel Zucker im Blut“ ist. Dazu kommt es hauptsächlich infolge eines Insulinmangels, einer Insulinresistenz oder eines Zusammenwirkens beider Faktoren. Es gibt unterschiedliche Diabetestypen, in der Folge wird im wesentlichen auf den DM Typ-2 eingegangen, der früher auch „Altersdiabetes“ genannt wurde, weil er überwiegend bei Menschen mit einem Alter über 30 Jahren diagnostiziert wurde.
Ein paar Zahlen
Laut ÖDG (Österreichische Diabetesgesellschaft) sind in Österreich rund 600 000 Menschen betroffen (DM Typ 1+2, Gestationsdiabetes (= Schwangerschaftsdiabetes) und andere Ursachen). Rund 170 000 Menschen wissen noch gar nicht, dass sie bereits Diabetes haben. Zwischen 50 000 und 100 000 Betroffene sind Typ-1 Diabetiker, d. h. bei ihnen liegen vor allem genetische Prädispositionen und autoimmunologische Prozesse als Ursache für die Erkrankung vor.
Typ-2 Diabetiker
stellen mit mehr als 85 Prozent aller Zuckerkranken den Hauptanteil aller Diabetiker.
DM Typ-2 entsteht vielfach schleichend durch einen ungesunden Lebensstil – oder vereinfacht formuliert durch zuviel und zu gutes Essen in Verbindung mit zuwenig Bewegung. Übergewicht ist ein wesentlicher Entstehungsfaktor für Diabetes. Aber auch erbliche Anlagen und das Alter sind Risikofaktoren. Mit zunehmenden Jahren lässt die Produktivität der Bauchspeicheldrüse nach – mit der Folge, dass bereits 14 % der Über-60- jährigen Österreicher an Diabetes leiden.
Verdauung
Im Rahmen unserer Verdauung werden die in der Nahrung wie z. B. in Brot, Getreide-produkten oder Zucker enthaltenen Kohlehydrate, zu Glukose (=Traubenzucker) abgebaut. Über die Darmwand wird diese dann ins Blut aufgenommen, im gesamten Organismus verteilt und von den Zellen nach Bedarf aufgenommen.
Insulin
In der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) wird in den Langerhansschen Inseln Insulin erzeugt, jenes Hormon, welches die Durchlässigkeit der Zellmembranen für Glukose in den Muskel- und Fettzellen steigert. Glukose ist sozusagen unser Betriebsstoff, ihn brauchen wir für die Energiegewinnung. Der Blutzuckerspiegel – er sollte im Normalfall nicht mehr als 100 betragen – steigt unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme in der Verdauungsphase deutlich an und sollte anschließend – nach ein bis zwei Stunden – in engen Grenzen = 80 – 120 mg/dl oder 4,5–6,7 mmol/l konstant bleiben, sogar für lange Zeit danach – auch in Phasen, in denen wir keine Nahrung aufnehmen. Das zu gewährleisten ist Aufgabe der Leber. Einerseits entlässt sie gespeichertes Glykogen ins Blut, andererseits wird Glukose im Rahmen der Glukoneogenese ständig neu gebildet. Insulin hat eine weitere Aufgabe: es ist das einzige Hormon im menschlichen Körper, das Fett aufbaut und zugleich dafür sorgt, dass das Fett in unseren Depots bleibt. Arbeiten die Insulin produzierenden Zellen nun nicht oder nicht mehr adäquat, entgleist der gesamte Prozeß und der Blutzuckerspiegel steigt – unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Denn einerseits kann zuwenig Glukose in die Zellen aufgenommen werden und verbleibt daher im Blut, andererseits produziert die Leber weiter Traubenzucker. Beides zusammen führt zum Blutzuckeranstieg.
Und dieser Leitbefund führt längerfristig zu enormen Gesundheitsproblemen.
Es sind eine Reihe recht unspezifischer Symptome, die dazu führen dass Diabetes mellitus in vielen Fällen lange Zeit nicht erkannt oder richtig diagnostiziert wird.
Symptome
sind lange Zeit überhaupt nicht wahrnehmbar und zeigen sich erst bei bereits entgleistem Blutzuckerspiegel u. a. als ständige Müdigkeit, Schwäche, viel Durst, häufiges Urinieren, ständiges Hungergefühl und als starken Gewichtsverlust ohne ersichtlichen Grund.
Folgen
sind Pilzinfektionen, offene und schlecht heilende Wunden, der „diabetische Fuß“, Gefäß- und Augenerkrankungen, Depressionen, Nierenschäden, Neuropathien, Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzinfarkt.
Behandlung
Typ-1 Diabetiker benötigen eine lebenslange Hormonersatztherapie (Insulin), Typ-2 Diabetiker werden zunächst durch eine Lebensstilveränderung behandelt. Das bedeutet laufende Messung des Blutzuckers, verbunden mit einer Ernährungsumstellung, mehr Bewegung und Reduktion des Körpergewichtes zumindest bis auf das Normalgewicht. Weitere medizinische Therapien sind die Einstellung des Blutzuckers durch Tabletten oder die selbst durchgeführte Injektion von Insulin.
Qigong
In der Literatur finden sich zu diesem Thema verschiedene Untersuchungen mit z. T. recht inkonsistenten Ergebnissen.
Die aktuellste Studie der American Diabetes Association (im Jänner 2010 publiziert) möchte ich hier kurz vorstellen. Es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine randomisierte, kontrollierte Pilot-Studie, welche unter methodisch einwandfreien Bedingungen klare Evidenz für eine positive Wirkung von Qigong auf DM Typ-2 fand.
Effects of Qigong on Glucose Control in Type 2 Diabetes.
Die Durchführenden fanden eine ganze Reihe von Untersuchungen, welche eine positive Wirkung von Qigong auf den Verlauf von Diabetes belegten, aber nur wenige randomisierte, kontrollierte Studien zum DM Typ-2.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, Effekte von Qigong bei oraler Einstellung des Diabetes, bzw. im Vergleich zu definierter körperlicher Betätigung (PRT = progressive resistance training) bei DMTyp-2 zu erheben.
251 potentielle Teilnehmer wurden telefonisch angefragt, 46 von ihnen an der Bastyr Universität (Washington) weiter evaluiert und schließlich 32 von ihnen als geeignet ausgewählt und in die Untersuchung eingeschlossen. Sie wurden nach Alter und Geschlecht „gematcht“ d. h. so ähnlich als möglich in der Alters- und Geschlechtsverteilung in drei Gruppen aufgeteilt.
Gruppe 1 (n = 11) machte Qigong, Gruppe 2 (n = 10) diente als Kontrollgruppe, Gruppe 3
(n = 11) machte PRT (progressive resistance training) – ein definiertes Krafttraining, das freie Gewichte, Kraftmaschinen und Elastische Bänder zur Muskelstärkung nutzt, um eine körperlich aktive Form als Vergleich zu haben.
Das Durchschnittsalter der Probanden war 56,3 ± 8,1 Jahre. Alle Teilnehmer wurden angewiesen, ihre normale Diabeteskontrolle unverändert weiter durchzuführen. Alle nahmen orale Medikamente, keiner spritzte Insulin. Die Probanden der Gruppen 1 + 2 besuchten wöchentlich ihre von qualifizierten Leitern geführten Gruppen in der Dauer von je 60 Minuten und übten zwei Mal pro Woche selbständig zu Hause für je 30 Minuten. Das Studienprotokoll war vom Bastyr University Institutional Review Board genehmigt, von allen Teilnehmern wurde „informed consent“ (=informierte Zustimmung) eingeholt. Die Werte für Nüchternzucker, Insulin und A1C – oder in Österreich HbA1C – (Glykohämoglobin = roter Blutfarbstoff, an den Glukose gebunden ist) wurden zu Beginn und am Ende der 12-wöchigen Intervention bestimmt. Die Insulinresistenz wurde mittels des „homeostasis model assessment of insulin resistance (HOMA-IR) index score ebenfalls zu Beginn und am Ende der 12-wöchigen Intervention ermittelt.
Statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich des Blutzuckers (plasma glucose level) wurden in der Qigonggruppe gefunden (184,9 ± 35,3 vs 161,9 ± 40,5 mg/dl, P = 0,003).
Alle Teilnehmer dieser Gruppe wiesen am Ende der Intervention einen niedrigeren Nüchternblutzuckerspiegel auf als zu Beginn.
Im Gegensatz dazu stiegen diese Blutzuckerwerte (plasma glucose level) in den beiden anderen Gruppen (nicht signifikant) an: 143,8 ± 35,0 vs. 154,0 ± 44,7 und 156,4 ± 36,6 vs. 168,4 ± 49,1 mg/dl.
Der Nüchternblutzucker der Qigonggruppe verbesserte sich signifikant im Vergleich zu dem der PRT-Gruppe und zu dem der Kontrollgruppe (P<0,003 und P<0,001; ermittelt per einseitiger Varianzanalyse ANOVA). Die Werte für A1C (HbA1C) veränderte sich nicht in der Kontrollgruppe (7,9 ± 0,8 vs. 7,9 ± 1,6%), gingen aber sowohl in der PRT-Gruppe (8,6 ± 1,2 vs. 7,9 ± 1,6) und in der Qigonggruppe leicht – nicht signifikant – zurück (8,8 ± 1,1, vs. 8,1 ± 1,3). Die Nüchterninsulinspiegel stiegen sowohl in der PRT Gruppe (24,3 ± 28,8 vs. 30,2 ± 39,9) als auch in der Kontrollgruppe (12,6 ± 4,6 vs. 20,1 ± 10; P = 0,08), veränderten sich aber nicht in der Qigonggruppe (13,3 ± 6,2 vs. 13,4 ± 5,7, nicht signifikant). Obwohl diese Differenzen statistisch nicht signifikant sind, verschoben sich die HOMAR-IR scores vorteilhaft zugunsten der Qigonggruppe (5,3 ± 2,3 vs. 4,7 ± 2,2) aber unvorteilhaft für die PRT-Gruppe (6,60 ± 6,00 vs. 8,91 ± 9,55) und die Kontrollgruppe (4,48 ± 2,30 vs. 7,51 ± 4,21; P = 0,06).
Das Ausführen von Qigong während dieser 12-wöchigen Intervention resultierte also in einer signifikanten Reduktion des Nüchternblutzuckers bei Patienten mit DM Typ-2 und zeigte Trends (P-Werte über 0,05 gelten als marginal signifikant) in Richtung einer Verbesserung der Insulinresistenz und A1C (HbA1C).
Diese Resultate legen nahe, dass Qigong eine effektive komplementäre Therapie für Patienten mit DM Typ-2 ist.
Literatur
Effects of Qigong on Glucose Control in Type 2 Diabetes.
Guan-Cheng Sun, Jennifer C. Lovejoy, Sara Gillham, Amy Putiri, Masa Sasagawa, and Ryan Bradley. Diabetes Care, Volume 33, Number 1, January 2010.