Qigong bei anhaltenden Schmerzen nach einer Brustkrebsoperation
Mag. Franz Wendtner
Krebs – Überblick
Als Krebs wird eine Erkrankung bezeichnet, die durch eine unkontrollierte Vermehrung von Zellen gekennzeichnet ist. Normalerweise lebt eine Zelle in unserem Körper so lange, bis die Apoptose (= programmierter Zelltod) eintritt und in der Folge eine neue Zelle entsteht. Dies erfolgt im Rahmen ihres „Bauplanes“. Vereinfacht formuliert wirft eine Krebszelle ihren Bauplan weg und wächst unkontrolliert und bösartig als Tumor (= Geschwulst), teilt sich und siedelt in weiterer Folge oft Metastasen (=Tochtergeschwülste) ab. Tumor und Metastasen wachsen in das umliegende Gewebe ein und zerstören es. Es kommt zwar immer wieder zu Fehlern bei der Zellteilung, aber bei weitem nicht jeder führt zu Krebs. Auf enzymatischer und immunsystemischer Ebene werden Fehler in der Regel erkannt und fehlerhafte Zellen eliminiert. Wenn diese Reparaturmechanismen nicht greifen, können Mutationen (von lat. mutare „verändern, verwandeln“) im Sinne einer spontan auftretenden und dauerhaften Veränderung von Erbmaterial entstehen und zu Krebs führen. Dazu kann es spontan oder durch die Einwirkung von Kanzerogenen (=krebserregende Substanzen oder Strahlung) kommen. Dabei werden sogenannte „Onkogene“ (leiten Zellteilung ein) dauerhaft aktiviert und/oder „Suppressorgene“ (beenden Zellteilung) dauerhaft abgeschaltet. Die Zellen teilen sich dann immer wieder, weil sie unaufhörlich den Impuls zur Teilung bekommen oder aber sie hören nicht mehr auf sich zu teilen, weil ihr Wachstum nicht gestoppt wird. Dann wächst und teilt sich die Zelle unkontrolliert – es kommt zu Krebs. Zeit und Lebensalter spielen eine große Rolle. Viele Krebserkrankungen brauchen Jahre, um erkannt zu werden, da sie lange Zeit keine Probleme verursachen. Soweit ein – unvollständiger – Überblick zu Krebs.
Häufigkeit
Zurzeit muss jeder zweite Mann und jede dritte Frau damit rechnen, im Lauf seines/ihres Lebens an Krebs zu erkranken. Laut Statistik Austria erkrankten im Jahr 2017 41.389 (22.442 Männer, 18.947 Frauen) Menschen in Österreich neu an Krebs. Bei Männern ist Prostatakrebs – 2017 wurden 5697 Männer neu diagnostiziert – bei Frauen das Mammakarzinom (=Brustkrebs) die häufigste Krebserkrankung. 2017 erhielten 5417 Frauen diese Diagnose1.
Insgesamt sind rund ein Viertel aller jährlichen Todesfälle in Österreich auf Krebserkrankungen zurückzuführen. Allerdings werden sowohl Früherkennung, Diagnostik und Therapie immer besser, die Mortalität (=Sterblichkeit) infolge von Krebs nimmt ab, immer mehr Menschen können geheilt werden, immer mehr Betroffene leben immer länger mit ihrer Erkrankung.
„Eine rezente Analyse der Entwicklung der Krebssterblichkeit in den USA hat ergeben, dass für die 10 Jahre zwischen 2008 und 2017 die Krebsmortalität für alle Krebserkrankungen zusammen um 1,5% pro Jahr in den USA zurückgegangen ist, für die Summe aller anderen Todesursachen aber gleichgeblieben ist.“ (Prof. Dr. R. Greil, Weltkrebstag 2020)2
Brustkrebs
Als „MammaCa“ wird eine bösartige Veränderung des Brustgewebes der Frau bezeichnet (wobei auch Männer im Verhältnis von 1:100 an Brustkrebs erkranken). Am häufigsten sind die lobulären (ausgehend von den Drüsengängen) und die duktalen (ausgehend von den Drüsenläppchen) Karzinome (von altgriechisch: Karkinos = Krebs). Häufige Symptome sind z. B. Knoten in der Brust – 9 von 10 Frauen finden ihren Krebs selbst beim Duschen oder Eincremen – oder neu aufgetretene Einziehungen der Brustwarze, sowie Größenveränderungen und/oder Rötungen der Brust.
Diagnostik
Jeglicher Verdacht sollte medizinisch abgeklärt werden! Denn je früher Krebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Zu den gängigen Verfahren gehören u. a. die Mammografie, Ultraschalluntersuchungen oder ein MRT (=Magnetresonanztomografie).
Therapie
Zu den häufigsten Behandlungsmethoden gehören Operation, Chemotherapie – diese wird mittlerweile oft neoadjuvant (= vor der Operation) durchgeführt, um den Tumor präoperativ zu verkleinern, sowie Hormon- und Immuntherapien. Sogenannte „zielgerichtete Therapien“ (targeted therapies) kommen vermehrt erfolgreich zum Einsatz.
Wiederaufbau
Ein Wiederaufbau (Rekonstruktion) der betroffenen Brust ist in vielen Fällen sowohl während, als auch noch Jahre nach der Operation, möglich. Die Akzeptanz dieser Option nimmt zu, ist international allerdings sehr unterschiedlich und liegt zwischen 2,7% und 73%3,4.
Zur Studie
Dieses Mal sollen die Ergebnisse einer aktuellen Pilotstudie aus den USA – publiziert im Februar 2020 – gekürzt vorgestellt werden. Um interessierten und kritischen Lesern die Möglichkeit zu geben, die vollständige Untersuchung zu lesen, ist sie wie immer unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/ kostenfrei downzuloaden.
Qigong Mind-Body Exercise as a Biopsychosocial Therapy for Persistent Post-Surgical Pain in Breast Cancer: A Pilotstudy5
Kamila Osypiuk, MS, Jennifer Ligibel, MD, Anita Giobbie-Hurder, MS, Gloria Vergara-Diaz, MD, Paolo Bonato, PhD, Roxanne Quinn, BA, Winnie Ng, MA, MPH, and Peter M. Wayne, PhD
Im Rahmen ihrer „Pilotstudie“ (= Vorabuntersuchung zur Hypothesentestung, die vor einer umfassenden Erhebung/Studie durchgeführt wird), untersuchten Osypiuk et al (2020) 21 Patientinnen nach einer Brustkrebsoperation. Zweck der Studie war die Bewertung der Durchführbarkeit, Sicherheit und vorläufigen Wirksamkeit eines 12-wöchigen Qigongprogrammes für Brustkrebsüberlebende mit anhaltenden postoperativen Schmerzen nach Lumpektomie (= brusterhaltende Operation) und Mastektomie (=Amputation der betroffenen Brust). In der Literatur werden Schmerzen in 25 bis 60 % der Fälle, also relativ häufig, berichtet6. Typischerweise treten diese Schmerzen im Bereich der operierten Brust, der Axilla (=Achsel) und im Arm auf und können noch 2 bis 3 Jahre nach der Operation andauern7. Neben den Schmerzen werden von den Patientinnen erhöhte psychische Belastungen einschließlich Angst, Depression, Schlafstörungen, Somatisierung und Katastrophisierung (= Neigung, alles als immer schlimmer und aussichtloser werdend zu empfinden) berichtet. Die Patientinnen wurden aus onkologischen Kliniken am Dana-Farber Cancer Institute in Boston, Massachusetts, USA, rekrutiert. Mittels validierter (valide = bestätigt, dass eine wissenschaftliche Aussage gültig und zuverlässig ist) Fragebögen zur Selbsteinschätzung und qualitative Interviews wurden u. a. Schmerzen, Müdigkeit, Stimmung, Beweglichkeit und die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu Studienbeginn erhoben. Katamnesen (=Beschreibung/Erhebung des Krankheits- und Therapieverlaufs nach der Behandlung) wurden 12 Wochen und 6 Monate nach der Intervention durchgeführt. Der Bewegungsbereich der Schulter und die Griffstärke wurden zu Studienbeginn und 12 Wochen nach Studienende objektiv bewertet. Qualitative Interviews wurden zu Studienbeginn und nach 12 Wochen durchgeführt. Die Behandlung, also Operation, Chemotherapie und/oder Bestrahlung mussten zumindest 3 Monate vor Studienbeginn abgeschlossen sein. Die Studie wurde vom Dana-Farber/Harvard Cancer Center Institutional Review Board (15-347) genehmigt.
Qigong
Geübt wurden die „8 Brokate – Baduanjin“, die von zwei Lehrern mit jeweils mehr als 25 Jahren Erfahrung unterrichtet wurden. Die Teilnehmerinnen nahmen 12 Wochen lang an einem 1,25-Stunden-Kurs pro Woche teil und übten zu Hause mit einem Lehrvideo 2 bis 3 Stunden pro Woche. Die Verläufe wurden dokumentiert.
Ergebnisse
18 bzw. 17 der ursprünglich 21 Teilnehmerinnen standen für die Katamnese nach 12 Wochen und 6 Monaten zur Verfügung. Nach 12 Wochen wurden statistisch signifikante Verbesserungen von Schmerzstärke, Müdigkeit, Angstzuständen, Depressionen, des wahrgenommenen Stress, des Selbstwertes sowie des Katastrophisierens gefunden. Ebenso kam es zu Verbesserungen einzelner Aspekte der Lebensqualität und zu Verbesserungen der Schulterbeweglichkeit. Diese Effekte waren auch 6 Monaten nach dem Ende der Studie noch gegeben. Es wurden keine schwerwiegenden oder unerwünschten Wirkungen berichtet, nur vier Teilnehmerinnen meldeten geringfügige, vorübergehende Schmerzen.
Schlussfolgerungen
Die Autoren kommen zum Schluss, dass Baduanjin eine sichere, sanfte und vielversprechende Intervention für Brustkrebspatientinnen mit persistierenden postoperativen Schmerzen ist.
In eigener Sache
Qigong erweist sich immer wieder als eine sichere, sanfte und wirksame Unterstützung bei der Bewältigung der Belastungen, zu denen es durch eine Krebserkrankung kommt. Diese Aussage der Autoren kann aus langjähriger eigener Erfahrung als Qigonglehrer nur bestätigt werden. Auf die Angabe der statistischen Signifikanzen wurde dieses Mal zugunsten der besseren Lesbarkeit bewusst verzichtet. Diese können, ebenso wie die Ergebnisse der angewandten Tests und Fragebögen ausführlich in der Originalstudie nachgelesen werden.
Für Fragen zum Thema Qigong bei Krebs stehe ich gerne zur Verfügung. Tel.: 0664-4218364
Literatur
- https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/122512.html
- Greil R, Weltkrebstag 2020: Prof. Dr. Greil zieht positive Bilanz und gibt Hoffnung. Top News.at (2020) michael.obermeyer@reichlundpartner.com
- Zhong T, Fernandes KA, Saskin R, Sutradhar R, Platt J, Beber BA, et al. Barriers to immediate breast reconstruction in the Canadian universal health care system. J Clin Oncol. 2014; 32(20):2133–41.
- Nadia Sim, MBBS, Sharon Soh, MBBS, Chuan Han Ang, MBBS, MRCS, Chor Hoong Hing et al, Breast reconstruction rate and profile in a Singapore patient population: a National University Hospital experience Singapore Med J 2018; 59(6): 300-304
doi: https://doi.org/10.11622/smedj.2017035
- Kamila Osypiuk, MS, Jennifer Ligibel, MD, Anita Giobbie-Hurder, MS, Gloria Vergara-Diaz, MD et al, Qigong Mind-Body Exercise as a Biopsychosocial Therapy for Persistent Post-Surgical Pain in Breast Cancer: A (2020) Integrative Cancer Therapies Volume 19: 1 –12, sagepub.com/journals-permissions https://doi.org/10.1177/1534735419893766
- Miller KD, Siegel RL, Lin CC, et al. Cancer treatment and survivorship statistics, 2016. CA Cancer J Clin. 2016;66:271-289.
- Gartner R, Jensen MB, Nielsen J, Ewertz M, Kroman N, Kehlet H. Prevalence of and factors associated with persistent pain following breast cancer surgery. JAMA. 2009;302:19851992.