Qigong – Ergebnisse aus einer Literaturübersicht
Mag. Franz Wendtner
In der Übersichtsarbeit von Bruna Francielle Toneti 1 et al:
Toneti BF, Barbosa RFM, Mano LY, Sawada LO, Oliveira IG, Sawada NO. Benefits of Qigong as an integrative and complementary practice for health: a systematic review. Rev. Latino-Am. Enfermagem. 2020;28:e3317. DOI: http://dx.doi.org/10.1590/1518-8345.3718.3317
wurde die Wirkung von Qigong im Hinblick auf Gesundheit bei Erwachsenen und älteren/betagten Menschen im Rahmen einer Literaturrecherche erhoben.
Zu diesem Zweck wurden die Datenbanken PubMed – hier ist diese Untersuchung auch kostenlos downloadbar – CINAHL, LILACS, EMBASE und Cochrane Library nach den Regeln von PRISMA (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses – eine spezifische Suchmethode) durchforstet. Aus 232 in Frage kommenden Studien wurden 28 ausgewählt. Eingeschlossen wurden sowohl randomisierte (d. h. die Teilnehmer der jeweiligen Studien wurden zufällig ihrer Untersuchungsgruppe zugeteilt) als auch nicht randomisierte Untersuchungen. Dieses Vorgehen erhöht zwar das Risiko für Unschärfen im Hinblick auf die Ergebnisse, aber es ist nun mal nicht wirklich möglich, Kriterien wie Doppelblindheit (der „Goldstandard“ in pharmazeutischen Studien) in übende Verfahren, wie Qigong eines ist, zu übernehmen. Sowohl Lehrer als auch Ausführende sollten wissen, was sie tun. Untersuchte Themenkreise waren u. a. Kardiovaskuläre Erkrankungen, Psychosoziale Probleme wie Burnout, Ängste und Depressionen, sowie Schmerz, Krebs und Rehabilitation. Die Ergebnisse belegen einen Benefit vor allem bei mittel- und langfristigem Üben von Qigong.
46,4 % der Hauptautoren waren Ärzte, 28,6 % Krankenschwestern, 7,1 % Psychologen, 7,1 % Therapeuten und je 3,6 % Apotheker, Sportlehrer und Physiotherapeuten. 15 der eingeschlossenen Studien wurden in China, 5 in Deutschland, 3 in Großbritannien, je 2 in Schweden und Korea und 1 in Thailand durchgeführt.
Im Folgenden werden beispielhaft Ergebnisse aus einzelnen Studien zu den fünf untersuchten Kategorien zitiert. Allen Interessierten sei wie immer die Lektüre des Originalartikels – siehe oben – mit der vollständigen Literaturübersicht empfohlen. Ggf. erleichtern Übersetzungsprogramme das Lesen.
Koronare Erkrankungen
Hier zeigte sich in einer Studie, in der 139 Erwachsene mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren eingeschlossen waren, eine Verbesserung der wahrgenommenen geistigen und körperlichen Gesundheit (p>0,001), des Körperfettanteiles (p<0,001) und verschiedener Lipidprofile (Lipide = Blutfette).
Psychosozialer Themenkreis
In einer 12-wöchigen Studie mit 38 älteren Menschen mit einem Durchschnittsalter von 80 Jahren zeigte sich u. a. eine signifikante Reduktion der depressiven Symptome (p<0,025), eine verbesserte Selbstwirksamkeit (p=0,050) sowie eine Steigerung der körperlichen Kraft (p=0,034). Außerdem wurde ein niedrigerer Cortisolspiegel im Speichel (p<0,08) gefunden (Cortisol = ein Stresshormon).
In einer weiteren Studie mit 46 sozial isolierten älteren Menschen mit einem Durchschnittsalter von 77 Jahren zeigte sich bei einem 3-monatigen Üben von Qigong/TaiChi eine signifikante Verbesserung hinsichtlich der wahrgenommenen sozialen Unterstützung (p=0,044) und der Einsamkeit (p=0,033). Darüber hinaus gaben 82% der Teilnehmer an, dass sie die Übungen fortsetzen wollten und neun von ihnen berichteten eine Erweiterung ihres Freundeskreises.
Schmerz
In einer 6-monatigen Studie mit 122 Patienten mit Chronischem Zervikal-Syndrom (Chronischer Schmerz im Hals-Nacken-Bereich) und einem Durchschnittsalter von 45 Jahren zeigte sich eine signifikante Verminderung der Schmerzstärke (p=0,002).
Bei 62 Büromitarbeitern mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren und chronischen Schmerzen im unteren Rückenbereich (low back pain) zeigte sich im Rahmen einer 6-wöchigen Studie u. a. eine Reduktion der funktionellen Behinderung (p<0,001), der Schmerzen (p<0,001), sowie eine Verbesserung der Herzfrequenz (p<0,001) und des mentalen Status (p=0,005).
Krebs
In einer 12-wöchigen Vergleichsstudie – Qigong versus Sham-Qigong (sham = Schein, Heuchelei) zeigte sich bei 87 Brustkrebspatientinnen mit einem Durchschnittsalter von 58 Jahren eine signifikante Verringerung der Fatigue (Erschöpfungssyndrom), sowie eine Verbesserung der depressiven Symptomatik und des Schlafes (p<0,059).
In einer weiteren Studie wurde bei 87 Patientinnen mit einem Durchschnittsalter von 59 Jahren u. a. eine Verbesserung hinsichtlich körperlicher Aktivität und kognitiver Funktion (p<0,001) gefunden.
In einer Untersuchung mit 50 Prostatakrebspatienten mit einem Durchschnittsalter von 64 Jahren während einer Radiatio (Radiatio = Strahlentherapie) wurde eine Verbesserung des Schlafes (p=0,05) gefunden.
In einer Studie mit 102 Non-Hodgkin-Patienten (eine Krebsform des lymphatischen Systems) mit einem Durchschnittsalter von 59 Jahren, die sich einer Chemotherapie unterzogen, zeigte sich eine Reduktion der Fatigue und eine Verbesserung der Schlafqualität (p<0,001).
In einer weiteren Studie mit 96 Patienten mit der gleichen Erkrankung und einem Durchschnittsalter von 60 Jahren wurden Verbesserungen der Blutqualität hinsichtlich der Leukozyten (p<0,001) und des Hämoglobin (p<0,002) während des ersten Zyklus einer Chemotherapie gefunden. (Leukozyten sind DER wesentliche Bestandteil unseres Immunsystems, Hämoglobin ist der rote Blutfarbstoff, der den Sauerstoff im Körper transportiert).
Rehabilitation
Eine 6-monatige Studie mit 89 Parkinsonpatienten mit einem Durchschnittsalter von 67 Jahren zeigte, dass die Teilnehmer der Qigonggruppe eine Verbesserung ihrer Schlafqualität (p=0,029), ihrer funktionellen Mobilität (p=0,041) und ihres 6-Minuten Gehtests (p = 0,042) im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten. Darüber hinaus konnte diese Gruppe ihre Gehgeschwindigkeit steigern (p = 0,011).
Eine weitere, ebenfalls 6-monatige Untersuchung, durchgeführt mit 206 COPD-Patienten (COPD = eine chronische Lungenkrankheit) mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren, zeigte eine signifikante Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit (p < 0,001), eine Zunahme der mittleren Gehstrecke um 17% und darüber hinaus auch eine Verbesserung verschiedener Lungenfunktionen.
In einer 6-monatigen Untersuchung mit 172 Hämodialysepatienten mit einem Durchschnittsalter von 57 Jahren zeigte sich nach 8 Wochen, dass die Fatigue in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant (p=0,005) abgenommen hatte. Hämodialyse – landläufig auch „Blutwäsche“ genannt – ist eine sehr anstrengende Behandlung die z. B. bei Nierenversagen zur Anwendung kommt. Darüber hinaus kam es in der Qigonggruppe zu einem Benefit hinsichtlich Kraftzunahme, diverser psychischer Funktionen und Abbau von Stress.
Eine weitere, hier zitierte Untersuchung, durchgeführt mit 71 Tinnituspatienten mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahren, zeigte eine Verbesserung dieser nur schwer behandelbaren und in der Regel als besonders lästig empfundenen Ohrgeräusche nach nur 5 Monaten. Diese Verbesserung war auch – sehr zur Zufriedenheit der Teilnehmer – noch 3 Monate nach Ende der Untersuchung vorhanden.
Eine weitere Untersuchung mit 57 Fibromyalgiepatienten (Fibromyalgie ist auch als „Weichteilrheumatismus“ bekannt) mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren ergab u. a. eine massive Abnahme der Schmerzen und der Unannehmlichkeiten aufgrund dieser Erkrankung (jeweils (p < 0,0001)). Auch die Angst nahm im Vergleich zur Kontrollgruppe ab (p<0,01). Entsprechend zeigte sich eine Zunahme an Lebensqualität (p < 0,01).
Eine Untersuchung mit 68 Burnout-Patienten mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren ergab keine signifikanten Unterschiede in den Ergebnissen, da es sowohl in der Interventions- als auch in der Kontrollgruppe zu Verbesserungen hinsichtlich Erschöpfung, Angst und Depression kam.
Dagegen zeigten sich in einer 4-monatigen Untersuchung mit CFS-Patienten (CFS = in etwa: Chronisches Müdigkeitssyndrom) mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren signifikante Verbesserungen (p < 0,05) hinsichtlich des „total fatigue score“ (in etwa: Gesamtermüdungswert), der körperlichen (p<0,01) und geistigen (p < 0,05) Erschöpfung.
Diskussion
In dieser notwendigerweise gekürzten Übersicht zur Wirkung von Qigong bei verschiedenen Erkrankungen bestätigt sich – wie schon in früheren in unseren Periodika erschienen Artikeln – dass Qigong eine hilfreiche und sichere Herangehensweise von hohem therapeutischem Wert ist und auch von älteren, sogar betagten Mitbürgern angewendet werden kann. Leider wird diese Tatsache nach wie vor von den Trägern der Sozialversicherungen und Krankenkassen negiert – Qigong ist in keinem Katalog einer Gesetzlichen Krankenkasse als bezahlte Leistung zu finden. Betrachtet man die bereits gegebene und noch zu erwartende Steigerung an Gesundheits- respektive Krankheits- und Behandlungskosten, ist sowohl im Akutbehandlungs- als auch im Rehabilitationsbereich dringender Handlungsbedarf gegeben. Einerseits sowohl im Hinblick auf Prävention und Gesundheitsförderung – andererseits zur Unterstützung bei der Genesung, aber auch und besonders im Hinblick auf Kostensenkung. Wir haben zwar eines der besten Medizinsysteme der Welt, aber die Frage ist, wie lange wir uns den finanziellen Aufwand dafür noch leisten können. Bereits 2013 habe ich dieses Thema mit dem Schwerpunkt auf österreichischen Daten im Periodikum 02/2013 „Qigong in Prävention, Genesung und Rehabilitation“2 behandelt. 2011 gaben 2,4 Millionen oder 41,6% aller Österreicher und Österreicherinnen im Erwerbsalter (15 bis 64 Jahre) eine oder mehrere dauerhafte Gesundheitsbeschwerde(n) an und 3,3 Millionen nahmen ärztlich verordnete Medikamente. Die Gesundheitsausgaben betrugen laut SHA (System of Health Accounts ) der Statistik Austria 32,4 Mrd. Euro3. 2022 waren es laut Schätzung der Statistik Austria 49,02 Mrd. Euro4.
Qigong im Leistungskatalog der Krankenkassen würde dazu beitragen, Leid zu verringern und Kosten zu sparen. Es würde sich rechnen, wie u. a. eine Erhebung aus den USA belegt.
„Qigong und Taijiquan im Hinblick auf den Gesundheitsstatus in den USA5
Komelski und Kollegen (2012) verglichen in den USA den Gesundheitsstatus von 120 Taijiquan und Qigong Übenden (Alter: 24-83 Jahre, M=54,77) mit einem repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt von 414 629 nicht übenden (some exercise, no exercise) US-Amerikanern (Alter: 18-99, M=54,86) im Hinblick auf den Gesundheitsstatus und die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Daten wurden online erhoben. Die Anwender von Qigong und Taijiquan gaben ab dem mittleren Lebensalter einen statistisch signifikant höheren Gesundheitsstatus, sowie eine höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität an. Diese Ergebnisse waren unabhängig von Einkommen und Schulbildung.“
Literatur:
1 Toneti BF, Barbosa RFM, Mano LY, Sawada LO, Oliveira IG, Sawada NO. Benefits of Qigong as an integrative and complementary practice for health: a systematic review. Rev. Latino-Am. Enfermagem. 2020;28:e3317. DOI: http://dx.doi.org/10.1590/1518-8345.3718.3317
2 Wendtner, F. 2013, Periodikum 02/2013, „Qigong in Prävention, Genesung und Rehabilitation“
3 www.statistik.at 2010
4 www.statistik.at Startseite › Statistiken › Bevölkerung und Soziales › Gesundheit › Gesundheitsversorgung und –ausgaben 27.09.2022
5 Komelski, M.F., Miyazaki, Y., Blieszner, R. (2012). Comparing the health status of U.S. taijiquan and qigong practitioners to a national survey sample across ages. J Altern Complement Med 2012 Mar; 18(3):281-6 (zit. in: Wendtner, F. 2013, Periodikum 02/2013, „Qigong in Prävention, Genesung und Rehabilitation“)