Effekte von Qigong auf Stress und Angst bei Gesunden
Mag. Franz Wendtner
Stress und Angst
Stress und Angst sind weitverbreitete psychische Belastungen in der Bevölkerung und tragen maßgeblich zur wachsenden Anzahl der Burnoutdiagnosen, sowie zur Frühberentung aus psychischen Gründen bei. Aber nicht nur Patienten, auch Gesunde leiden zunehmend unter Leistungsdruck, Verunsicherung durch drohenden Arbeitsplatzverlust, Konflikten mit dem Partner oder in der Familie, finanziellen Problemen etc., um nur einige Belastungsfaktoren aufzuzählen. Eine amerikanische Studie fand erst kürzlich, dass die Mehrheit der Amerikaner unter moderatem oder hohem Stress lebt. 44% der Befragten gaben eine in den vergangenen fünf Jahren gestiegene Belastung durch Stress an. (1)
Distress, also belastender Stress, äußert sich u. a. in Ängsten, Schlafproblemen, depressiven Symptomen, Schmerzen unterschiedlichster Lokalisationen – allen voran Kopf- und Rückenschmerzen, Erschöpfung, Burnout, Bluthochdruck und kardiovaskulären Erkrankungen.
In der psychologischen Forschung zur Angst untersucht man Angst sowohl als aktuelle, vorübergehende Befindlichkeit oder Zustand (= state anxiety), als auch als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal oder Eigenschaft (trait anxiety).
Für Patienten mit unterschiedlichsten Erkrankungen existiert eine wachsende Anzahl von Studien zur Wirkung von Qigong auf ihre Befindlichkeit, ihren Stress oder ihre Ängste – siehe dazu auch die Zusammenfassung im Artikel Qigong in Prävention, Genesung und Rehabilitation in unserem Periodikum 2/2013. (2)
Dagegen liegt nur eine begrenzte Anzahl von Studien vor, welche die Wirkung von Qigong auf Stress und Angst bei Gesunden untersucht. Im Rahmen eines umfassenderen Konzeptes erstellten Chong-Wen Wang und seine Kollegen eine entsprechende Übersichtsarbeit zu diesem Thema.
Die Meta-Analyse mit dem Titel „Managing stress and anxiety through qigong exercise in healthy adults: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials“ (3) ist für Interessierte unter www.pubmed.com downloadbar und natürlich wesentlich detaillierter und umfangreicher als die folgende kurze Übersicht.
Studie
Für ihre Studie durchforsteten Wang und Kollegen dreizehn Datenbanken mit dem Ziel, sogenannte RCT´s zum Thema zu finden. RCT bedeutet Randomized Controlled Trial = Randomisierte kontrollierte Studie – das ist das derzeit beste Untersuchungsdesign in der Wirkungsforschung, es kommt vor allem in der Medizin und in der Pharmaforschung zur Anwendung. Letztlich erfüllten sieben Studien aus den USA, Australien, Spanien, Hong Kong, Südkorea (zwei Studien) und China mit insgesamt 398 Probanden (199 Teilnehmer = Qigong, 199 Teilnehmer = Kontrollgruppen) die Einschlusskriterien.
Methode
Der Zeitrahmen der Suche erstreckte sich vom Zeitpunkt der Gründung der jeweiligen Datenbank bis Juni 2013. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden „gepoolt“ (= statistische Methode), um die SMD´s (Standardized mean differences) = Mittelwerte aus verschiedenen Untersuchungen miteinander vergleichen zu können. Die Heterogenität und das Bias – Risiko (beides statistisch relevante Größen beim Vergleich von Daten aus Metaanalysen {= in einer Übersichtsarbeit zusammengetragene Daten aus verschiedenen Untersuchungen}) wurden berücksichtigt.
Resultate
Sieben Untersuchungen erfüllten die Einschlusskriterien und bestätigten eine positive Wirkung von Qigong auf Stresssymptome, Angst und Lebensqualität.
Drei Studien untersuchten den Effekt von Qigongübungen auf den wahrgenommenen Stress nach einer jeweils definierten Periode von Qigong und fanden positive Effekte, u. a. auf Stress, Schmerz und die Lebensqualität. Diese Effekte waren – je nach Untersuchung – ein bis drei Monate nach dem Ende der Studie noch gegeben. Die Ergebnisse erwiesen sich als statistisch signifikant (p<0.001).
Vier Studien untersuchten die Wirkung von Qigong auf die Angst/Ängstlichkeit der Probanden als Persönlichkeitsmerkmal (trait anxiety). Nach einer jeweils festgelegten Reihe von Terminen präsentierten die Teilnehmer der Qigong übenden Gruppen u. a. weniger Angst, weniger Stress, eine bessere Lebensqualität und verbesserte Werte bezüglich Blutdruck und Cortisol (ein Stresshormon) als die Vergleichsgruppen. Bei einer dieser Studien zeigte sich dieser Effekt auch noch nach vier Wochen. Die Ergebnisse waren statistisch signifikant (p<0.001).
Zwei – aufgrund der Heterogenität der Kontrollgruppen – nicht gepoolte Studien belegten eine unmittelbar auf Qigong folgende Reduktion aktuell empfundener Angst (state anxiety) im Vergleich zu den Kontrollgruppen.
Diskussion
Die o. a. Ergebnisse zu gesunden Probanden decken sich nur teilweise mit den Resultaten einer anderen von den Autoren durchgeführten Studie (4) zur Wirkung von Qigong auf depressive und angstbezogene Symptome bei Patienten mit chronischen Erkrankungen. Sie sind aber durchaus vergleichbar mit Ergebnissen anderer Übersichtsarbeiten zur Wirkung von Tai Chi, Yoga oder „mindfulness-based stress reduction technics“ (in etwa „Achtsamkeitsbasierte Techniken“) bei Gesunden (5).
Conclusio
Aus den Ergebnissen der zur Studie herangezogenen Untersuchungen geht klar eine signifikante Reduktion von Stress und Angst durch Qigong bei Gesunden hervor. Aufgrund der geringen Anzahl von nur sieben Studien und methodischen Beschränkungen weisen die Autoren jedoch auf die eingeschränkte Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse hin.
Ausblick
Für viele von uns ist Qigong tägliche, wohltuende Realität. Dass immer mehr wissenschaftliche Studien die Wirkung von Qigong belegen, mag für jeden von uns in seinem persönlichen Üben von mehr oder weniger Bedeutung sein – wir spüren ja, wie wohl Qigong tut. Für eine anzustrebende Einführung von Qigong in die öffentlich-rechtliche Gesundheitsvorsorge, in Therapie und Rehabilitation können solche Studien aber von ausschlaggebender Bedeutung für die Einschätzung der Kosten-/Nutzenrelation sein und damit letztlich auch für eine Kostenübernahme durch unser Gesundheitssystem.
Literatur
- American Psychological Association. 2010 Stress in America Report. http//:www.apa.org/news/releases/stress/national-report.pdf
- F. Qigong in Prävention, Genesung und Rehabilitation, Periodikum der Österreichischen Qigonggesellschaft Nr. 35. 2/2013. S 22 -27
- Wang CW, Chan CH, Ho RT, Chan JS, Ng SM, Chan CL. Managing stress and anxiety trough qigong exercise in healthy adults: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials BMC Complement Altern Med. 2014 Jan 9;14:8
- Wang CW, Chan CL, Ho RT, Tsang HW, Chan CH, Ng SM. The effect of qigong on depressive and anxiety symptoms: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Evid Based Complement Alternat Med. 2013 doi: 10.1155/2013/716094
- Chiesa A, Serretti A. Mindfulness-based stress reduction for stress management in healthy people: a review and meta-analysis. J Altern Complement Med. 2009 May;15(5):593-600.