Qigong zur Reduktion von Stress bei Krankenhauspersonal
Mag. Franz Wendtner
Im letzten Periodikum (01/2012) berichtete ich über Qigong an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Paracelsus Privatmedizinischen Universität Salzburg. Seit August 1999 wird hier wöchentlich Qigong für Patienten und deren Angehörige angeboten, dieses Angebot wird auch redlich und mit hoher Zufriedenheit genutzt. Die folgende Arbeit soll dieses Mal den Behandlern gewidmet sein, d. h. in diesem Beitrag wird es im weiteren um die Reduktion von Stress bei Krankenhauspersonal – ohne die einzelnen Berufsgruppen wie Ärzteschaft, Pflege, Psychologen oder Angehörige anderer Gesundheitsberufe zu unterscheiden – gehen. Die psychische und physische Belastung dieser Berufsgruppen ist besonders bei motivierter Arbeitsauffassung sehr hoch. Dass Qigong auch hier entlastend wirken kann, belegt die von Griffith und Kollegen 2008 publizierte Studie „Qigong Stress Reduction in Hospital Staff“. Wie einige andere von mir in unserem Periodikum behandelten Studien ist auch diese im Original über www.pubmed.com ohne Kosten downloadbar. Sie sei hiermit vor allem den an der Statistik interessierten Lesern empfohlen.
Stress
Stress an sich ist ein sehr subjektives Geschehen und wird von Mensch zu Mensch unterschiedlich erlebt. Ursprünglich ein Geschenk der Natur, um in Gefahrensituationen einen Überlebensvorteil zu haben, führt zu hoher und vor allem chronischer Stress zu krank-sein. Psychosomatische und Angsterkrankungen, Depressionen und – besonders bei Angehörigen von heilenden und pflegenden Berufen häufig – Burnout nehmen in den letzten Jahren massiv zu. In der Stresssituation kommt es über vegetativ gesteuerte Vorgänge zu Reaktionen im körperlichen, kognitiven und affektiven Bereich, sowie zu Verhaltensänderungen. Wesentlich für die Vermittlung der Stressreaktionen ist das auf verschiedenen hierarchischen Ebenen ablaufende, in komplexer Weise durch Rückkopplungsschleifen verzahnte Zusammenspiel von Vegetativum und Zentralem Nervensystem (ZNS). Transaktional betrachtet ist Stress eine Beziehung zwischen dem betreffenden Menschen und der Stress auslösenden Situation bzw. den Stressoren. Als Stressoren werden sowohl internale wie externale situative Anforderungen aufgefasst, welche die Grenzen der Reaktionskompetenzen und Bewältigungsfertigkeiten des Betreffenden erreichen oder überfordern. Dabei sind individuelle Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeitserwartungen sowohl für die subjektiv wahrgenommene Belastung, als auch für die Auswahl der Lösungsstrategien von entscheidender Bedeutung.
Zusammenfassung
Ziel: Die Absicht der Untersuchung war herauszufinden, ob Qigong ein geeigneter Weg ist, Stress von Krankenhauspersonal zu reduzieren.
Methodik: Die Teilnehmer – Männer und Frauen – wurden randomisiert (= zufällig) zwei Gruppen zugeordnet. 16 der Teilnehmer waren in der Qigonggruppe, 21 nahmen in der Kontrollgruppe an der Untersuchung teil. Das primäre Messinstrument war die Perceived Stress Scale (PSS). Weitere Messinstrumente waren die Short Form 36 (SF 36) quality-of-life measure und eine 100 mm analog pain scale (VAS).
Resultate: In der Qigonggruppe zeigte sich in der PSS im Vergleich zur Kontrollgruppe eine statistisch signifikante Reduktion des wahrgenommenen Stress (p=0,02). Auf der Subskala „Soziale Interaktion“ zeigte die Qigonggruppe eine höhere Verbesserung (p=0,04) als die Kontrollgruppe. Außerdem kam es in der Qigonggruppe zu einer Schmerzreduktion (p=0,03), in der Kontrollgruppe nicht. Eine Regressionsanalyse zeigte eine Assoziation zwischen höherer Stressbelastung in der Baseline und ausgeprägterer Verbesserung innerhalb der Qigonggruppe (p=0,02) nach sechs Wochen.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse belegen eine Stressreduktion bei Krankenhauspersonal durch kurzzeitig angewandtes Qigong in der Dauer von 6 Wochen. Hinsichtlich der Evaluation (=Beurteilung, Gewichtung) möglicher Effektivität im Hinblick auf Schmerzlinderung und der Verbesserung der Lebensqualität sind weitere Studien notwendig.
Einführung
Ausgeprägter Stress führt gehäuft zu Ängsten, Stimmungsschwankungen und depressiven Symptomen. Besonders Krankenhauspersonal unterliegt höherem Stress als Angehörige anderer Berufsgruppen, leidet öfter unter Burnout und weist höhere durch Krankenstand bedingte Fehlzeiten im Beruf auf. Das bietet Anlass, die Wirksamkeit von Qigong vor allem im Hinblick auf zwei Aspekte zu untersuchen:
- Erweist sich Qigong als effektiv zur Stressreduktion bei Krankenhauspersonal?
- Ist Vor-Ort geübtes Qigong für Krankenhauspersonal überhaupt sinnvoll durchführbar?
Methoden
Die Teilnehmer waren Beschäftigte des Denver Veterans Affairs Medical Center. Sie wurden über Flyer und per Email über die Möglichkeit zur Teilnahme an der Untersuchung informiert. Wer sich meldete, wurde im Hinblick auf Gesundheitsprobleme untersucht, wer öfter als einmal in der Woche Yoga übte oder meditierte, wurde ausgeschlossen. Die Studie wurde vom University of Colorado Institutional Review Board und vom Denver Veterans Affairs Research Committee als sicher eingestuft und genehmigt.
50 Teilnehmer – 39 Frauen, 11 Männer – wurden nach Geschlecht aufgeteilt und randomisiert der Qigong- bzw. der Kontrollgruppe zugewiesen. Es gab keine signifikanten Unterschiede bei den Aussteigern – also Teilnehmern, welche die Untersuchung nicht bis zum Ende mitmachten – zwischen den Gruppen. Es gab keine übungsbezogenen Nebenwirkungen.
Studiendesign
Die Untersuchung war eine randomisierte, kontrollierte klinische Studie zur Erhebung von Effektivität und Durchführbarkeit von Qigong mit dem Ziel, wahrgenommenen Stress von Krankenhauspersonal zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern. Die Daten wurden als Baseline (= Ausgangswert, Ausgangsniveau am Beginn von Forschungsprojekten) während der Woche VOR dem Beginn, sowie sechs Wochen NACH dem Start der Studie erhoben. Das Hauptmessinstrument waren die „Perceived Stress Scale“ (PSS) – sie dient der Erfassung von wahrgenommenem Stress – und das „Health Status Survey Short Form (SF–36) quality of life measure“ – ein krankheitsunspezifisches Messinstrument zur Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Darüber hinaus wurden Körpergewicht, Blutdruck und Puls gemessen, sowie Schlafqualität und Schmerzintensität während der vergangenen Woche per VAS erhoben. Bei einer VAS – z. B. zur Messung der Schmerzstärke – handelt es sich um eine 100 Millimeter lange Linie mit den Endpunkten 0 mm (= kein Schmerz) und 100 mm (stärkster vorstellbarer Schmerz). Die Schmerzstärke wird durch einen senkrechten Strich auf dieser Linie dokumentiert. Außerdem protokollierten die Teilnehmer der Qigonggruppe die Dauer der täglichen Übungszeit.
Studieninterventionen
Die Teilnehmer der Qigonggruppe besuchten zweimal pro Woche eine in ihrer Mittagspause durchgeführte Gruppe in der Dauer von einer Stunde. Sie waren angewiesen, unabhängig davon täglich eine halbe Stunde zu üben und erhielten eine Übungs-DVD, sowie ein Übungs-Manual.
Statistik
Gruppenvergleiche der demografischen Daten, Baseline-Ergebnisse und die gemessenen Veränderungen bis zum Ende der Studie wurden per t-Test berechnet. Die Regressions-analysen wurden verwendet, um den Einfluss der Übungsdauer zu berechnen, sowie um Veränderungen in den einzelnen Skalen der PSS evaluieren (= auswerten) zu können. Alle Analysen wurden mittels SYSTAT 12.0 for Windows gerechnet.
Resultate
Es gab keine signifikanten Unterschiede in der Baseline hinsichtlich demografischer oder klinischer Merkmale zwischen den Gruppen. Auch nicht bezüglich PSS, SF-36, den Werten auf der Schlaf- oder Schmerz-VAS. Es ergaben sich auch keine statistisch signifikanten Unterschiede hinsichtlich Veränderungen des Körpergewichts, Blutdruck, Schmerz oder Schlaf. Allerdings wies die Qigonggruppe eine signifikante Reduktion des wahrgenommenen Stress, sowie eine Verbesserung in der Skala „soziale Interaktion“ des SF-36 auf. 27 der Teilnehmer (11 Tn der Qigonggruppe, 16 Tn der Kontrollgruppe) gaben zu Beginn der Untersuchung an, Schmerzen zu haben. Nur in der Qigonggruppe kam es zu einer signifikanten Linderung der Schmerzen (p=0,02).
Während der Durchführung der Studie traten keine übungsverursachten Probleme oder Nebenwirkungen auf.
Regressionsanalysen
Um festzustellen ob es einen „Dosiseffekt“ gebe – also zu berechnen, ob individuell länger dauerndes Qigong üben zu weniger Stress führte – wurden noch Regressionsanalysen durchgeführt. Allerdings stellte sich heraus, dass es hier keine linearen Zusammenhänge gab (p=0,984). Wer länger als durchschnittlich übte, hatte nicht automatisch mehr Gewinn (= weniger Stress) davon. Es war also nicht die aufgewendete Zeit, sondern Qigong die vermittelnde Variable.
Diskussion
Die vorliegende Untersuchung ergab, dass Qigong Stress von Krankenhauspersonal innerhalb von sechs Wochen wirksam reduzieren kann. Dass die aufgewendete Übungszeit keine lineare Beziehung zum Erfolg (= Stressreduktion) in der Qigonggruppe aufwies, interpretierten die Autoren dahingehend, dass sie – ohne ihn näher zu definieren – einen „critical amount“ postulierten. D. h. sie gehen davon aus, dass diejenigen Übenden, welche an oder über einen „kritischen Punkt“ hinaus übten, davon einen Benefit hatten. Wer diesen kritischen Punkt nicht erreichte, konnte auch durch längeres Üben nicht zu einer besonderen stressreduzierenden Wirkung gelangen – was man so interpretieren könnte, dass eben nicht die Dauer, sondern das Sich-einlassen, die Hingabe an das Üben entscheidend ist. In der weiteren Diskussion wird auf Ergebnisse aus anderen Studien zu Qigong, Tai-Chi, Meditation und Akupunktur eingegangen. Die Ursache dafür, dass die nur in der Qigonggruppe signifikante Schmerzreduktion sich nicht auch im Vergleich mit der Kontrollgruppe zeigte, vermuten die Autoren in der kleinen Gruppengröße. In der Literatur findet sich eine Reihe von Studien, welche signifikante Unterschiede bezüglich Schmerzreduktion zwischen Qigong Übenden und Kontrollgruppen erbrachten.
Beschränkungen der Studie
Limitierungen der Ergebnisse hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit sehen die Autoren vor allem in der kleinen Gruppengröße, sowie der relativ kurzen Zeit der Durchführung.
Schlussfolgerungen und Schlusswort
Die vorgestellte Untersuchung belegt, dass ein sechswöchig durchgeführtes Qigong den Stress von Krankenhauspersonal auch dann wirksam und nebenwirkungsfrei zu reduzieren in der Lage ist, wenn dieses unter den hoch intensiven Bedingungen eines Spitalsalltages gelehrt und durchgeführt wird. Bedenkt man, dass die o. a. Ergebnisse unter normalen Arbeitsbedingungen zustande kamen, sind die Resultate umso bemerkenswerter. Denn die Beschäftigten verwendeten ihre Mittagszeit zur Teilnahme an der Studie und wurden immer wieder durch die uns aus dem Spitalsalltag vertrauten Störungen wie Telefon, Notrufe und Alarme in ihrem Üben unterbrochen.
Vielleicht können die Ergebnisse der vorgestellten Studie die Kollegen aus den verschiedenen Sparten der im Krankenhaus tätigen Berufsgruppen dazu anregen, Qigong einmal selbst kennenzulernen, zu üben, es vielleicht sogar in ihren Alltag zu integrieren …
Literatur
Qigong stress reduction in hospital staff. Griffith JM, Hasley JP, Liu H, Severn DG, Conner LH, Adler LE. J Altern Complement Med. 2008 Oct;14(8):939-45.
Weitere Literatur beim Verfasser
Mag. Franz Wendtner, Universitätsklinik für Innere Medizin III der PMU mit Hämatologie, internistischer Onkologie, Hämostaseologie, Infektiologie, Rheumatologie und Onkologisches Zentrum,
Universitätsinstitut für Klinische Psychologie der PMU
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