Qigong in Prävention, Genesung und Rehabilitation
Mag. Franz Wendtner
Unsere Gesellschaft wird mehr und immer noch mehr zur Leistungsgesellschaft. Immer noch schneller soll immer noch mehr geschafft und erlebt werden. Per SMS und Mail sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer – dieser im Interesse des Arbeitsplatzerhaltes – auch am Wochenende und im Urlaub erreichbar. Wirklich los – lassen und ausrasten wird immer wichtiger, aber immer seltener möglich und für viele scheinbar immer weniger attraktiv. Denn auch im Urlaub muss man was erleben, es braucht Events und Action. Und immer mehr Menschen werden immer älter – auf immer mehr Menschen trifft der Spruch zu: „Alt werden will jeder – alt sein niemand …“. Auch und besonders weil im Alter alle Krankheiten und Gesundheitsprobleme deutlicher zum Vorschein treten und damit die Aussage von Arthur Schopenhauer (dt. Philosoph, 1788 -1860) zu bestätigen scheinen: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“
Qigong auf einen Weg zum Erhalt der Gesundheit zu reduzieren, wäre falsch und kurzsichtig, denn Qigong ist seit alters her eine Meditationsweise, der man sich mit unterschiedlichster innerer Haltung widmen kann, wie schon Reid schreibt: “… Seit diesen alten Zeiten sind dem Hauptstamm des Qigong viele verschiedene Zweige der Praxis entsprossen, jeder mit einem eigenen Stil und einer eigenen Zielrichtung; doch alle schenken Gesundheit und ein langes Leben, physiologisches Gleichgewicht und emotionale Ausgeglichenheit, geistige Klarheit und spirituelle Harmonie (1).
In diesem Beitrag soll Qigong – vorwiegend unter Bezugnahme auf einige der bisher im Periodikum veröffentlichten Arbeiten – unter dem Aspekt der Wirkung bei verschiedenen Krankheiten und Gesundheitsproblemen im Hinblick auf größere Zusammenhänge im Gesundheitswesen betrachtet werden. Somit auch unter dem Aspekt einer möglichen präventiven Wirkung im Hinblick auf die Vermeidung von gesundheitlichen Beschwerden und Krank-sein, sowie der Unterstützung bei der Genesung und in der Rehabilitation.
Unter Prävention – aus dem Lateinischen: praevenire ‚ was so viel wie „zuvorkommen“ oder auch „verhüten“ bedeutet – versteht man vorbeugende Maßnahmen, um unerwünschte Entwicklungen oder Ereignisse zu vermeiden. Vereinfacht formuliert könnte man Prävention auch mit „vorausschauende Vermeidung zu erwartender Probleme“ übersetzen – und, wenn man die folgenden Zahlen betrachtet, sich fragen, warum Qigong den Österreichern und Österreicherinnen nicht längst von offizieller Seite in einem größeren Umfang nahegebracht wird.
Einige Daten aus der Statistik Austria (www.Statistik.at) (2) zum Thema gesund/krank.
Daten (Statistik Austria)
Lebenserwartung
Die Lebenserwartung der Österreicher nimmt zu. Aktuell liegt sie laut Statistik Austria bei 75,5 Lebensjahren für Männer und bei 81,5 Jahren für Frauen.
Erwerbstätigkeit
Im Jahresdurchschnitt 2011 waren in Österreich 4.143.900 Männer und Frauen erwerbstätig.
Gesundheitszustand im Erwerbsalter
Laut Mikrozensus 2011 gaben 2,4 Millionen oder 41,6% aller Österreicher und Österreicherinnen im Erwerbsalter (15 bis 64 Jahre) eine oder mehrere dauerhafte Gesundheitsbeschwerde(n) an.
23,5% aller Personen im Erwerbsalter gaben mindestens eine dauerhafte Einschränkung bei alltäglichen Tätigkeiten an und 19,7% (rund 800.000 Personen) gaben zumindest eine gesundheitsbedingte Einschränkung im Arbeitsleben an
Krankenstände
2011 lag laut Statistik Austria die Anzahl der Krankenstände insgesamt bei 3 765 575, die Anzahl der Krankenstandstage pro Erwerbstätigem (bei Arbeitern und Angestellten) bei 10,6. Männer und Frauen waren annähernd gleich lang im Krankenstand.
Medikamente
Laut der „Österreichischen Gesundheitsbefragung 2006/07“ nahmen 1,3 Mio. aller Österreicher (40%) und 2,0 Mio. Österreicherinnen (56%) in den zwei Wochen vor der Befragung ärztlich verordnete Medikamente ein. Während nur rund 24% aller Personen im Alter von 15 – 29 Jahre ärztlich verordnete Medikamente nahmen, waren es 9 von 10 (91%) Personen der Altersgruppe 75+.
Antihypertensiva (Mittel gegen Bluthochdruck) wurden am häufigsten eingenommen.
Chronische Krankheiten
Ebenfalls im Rahmen der „Österreichischen Gesundheitsbefragung 2006/07“ gab mehr als ein Drittel der über 15-Jährigen (2,6 Mio. Personen) an, ein chronisches Gesundheitsproblem oder eine chronische Krankheit zu haben (1,2 Mio. Männer, 1,4 Mio. Frauen). Davon sind bei den über 75-jährigen etwa zwei Drittel der Bevölkerung (140.000 Männer, 300.000 Frauen) betroffen.
Invaliditätspension
Dazu die folgenden Zitate:
„Die meisten Männer und Frauen gehen zwischen 50 und 54 Jahren in Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension. Hauptursache sind Depressionen (ORF Steiermark, 11.4.2012)“.
„Skelett- und Muskelerkrankungen können heutzutage als Volkskrankheit Nr. 1 bezeichnet werden. Sie verursachen rund 22 Prozent der Krankenstandstage und sind Anlass für knapp 40 Prozent der Frühpensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Fast 100 Prozent der Erwerbstätigen haben im Verlauf ihres Berufslebens mindestens einmal mit Rückenbeschwerden zu kämpfen und müssen deswegen in ärztliche Behandlung (Arbeiterkammer Niederösterreich, 2013)“.
Todesursachen
2012 starben in Österreich 79 436 Menschen, 53% Frauen, 47% Männer. Herz-Kreislauferkrankungen bilden nach wie vor die Haupttodesursache, gefolgt von Krebserkrankungen.
Kosten
2011 betrugen die Gesundheitsausgaben in Österreich laut SHA (System of Health Accounts ) der Statistik Austria 32,4 Mrd. Euro. 30,7 Mrd. Euro entfielen auf die laufenden Gesundheitsausgaben, 1,7 Mrd. Euro wurden für Investitionen im Gesundheitsbereich aufgewendet, also auch für Präventivmaßnahmen.
Qigong
Qigong gehört zu jenen nicht-schulmedizinischen Herangehensweisen, welche nachweislich positive Effekte auf verschiedenste Krankheitsbilder und Gesundheitsprobleme haben. Bedenkt man, dass allein im Jahr 2011 2,4 Millionen oder 41,6% aller Österreicher und Österreicherinnen im Erwerbsalter (15 bis 64 Jahre) eine oder mehrere dauerhafte Gesundheitsbeschwerde(n) angaben und 3,3 Millionen aller Österreicher und Österreicherinnen ärztlich verordnete Medikamente nahmen, sollte Qigong als Weg des Erhalts der Gesundheit und zur Unterstützung der Genesung weit deutlicher als bisher in den Fokus der öffentlichen Beachtung und der Gesundheitsbehörden gelangen, zumal eine wachsende Anzahl von Studien die Wirksamkeit belegt.
Qigong und Rückenschmerzen
Wie bereits weiter oben angeführt, können Skelett- und Muskelerkrankungen als Volkskrankheit Nr. 1 bezeichnet werden. So geben 60 – 80% der Bevölkerung der Industrienationen an, in den letzten 12 Monaten Rückenschmerzen gehabt zu haben. Sie gelten als häufigster Grund für Arbeitszeitsausfälle / Krankenstände, Spitalsaufenthalte und – nach den Erkrankungen psychischen Ursprungs – als die Hauptursache für Frühpensionierungen. In Österreich entstehen allein durch Rückenschmerzen Kosten in der Höhe von mehr als 6 Milliarden Euro pro Jahr.
Bei 70 – 90% der Patienten ist kein zentraler Pathomechanismus diagnostizierbar, keine medizinische Diagnose wie Bandscheibenvorfall, Osteoporose, Bruch etc. zu stellen. Es ist also davon auszugehen, dass psychische, psychosomatische und funktionelle Faktoren eine tragende Rolle im Geschehen innehaben. Chinesische Studien berichten, dass Rückenschmerzen bei Menschen, die regelmäßig Qigong üben, wesentlich seltener auftreten. Und Dr. A. Zauner Dungl schreibt: „Es ist davon auszugehen, dass Qigong sowohl zur Prävention wie zur Therapie von Rückenschmerzen geeignet ist, denn: „… Betrachten wir die Körperhaltung beim Qigongtraining, so ist sie mit den Empfehlungen der modernen Haltungsinstruktionen weitgehend ident. Das Fließgleichgewicht von phasischer und tonischer Aktivität kann nur durch das Gesetz der reziproken Innervation ungestört erhalten werden. Qigongübungen werden diesen bewegungsphysiologischen Grundsätzen in vollem Ausmaß gerecht. Qigong erfüllt alle Kriterien der modernen Präventionsrichtlinien für idiopathischen Rückenschmerz.“ (Zauner-Dungl, 2004) (3). Wichtig auch für die betagteren Semester unter uns, denn mit zunehmendem Alter kommt es bei vielen Menschen zu Haltungsveränderungen und –störungen, die Schmerzen verursachen und über die Schonhaltungen, welche die Betroffenen einnehmen zu Fehlhaltungen, die langfristig erhebliche Beschwerden verursachen.
So auch bei Hanna K., 81 Jahre alt. Sie berichtet: „Seit ich Qigong übe, bin ich beweglicher geworden und habe ein anderes Lebensgefühl bekommen.“ (zit. nach Düwal, 1998).
Qigong und Bluthochdruck
Bluthochdruck gilt wie Rückenschmerzen als Volkskrankheit und findet sich in behandlungswürdiger Höhe nicht nur bei rund einem Viertel aller Österreicher, sondern generell bei 20 – 25% der Menschen in den westlichen Industrienationen. In der Altersgruppe der 60 – 74jährigen haben mehr als 60% der Menschen Bluthochdruck. Er ist eine Hauptursache für Arteriosklerose, Schlaganfall und Herzinfarkt. Als Bluthochdruck oder „arterielle Hypertonie“ bezeichnet man die dauerhafte Erhöhung des systolischen (oberer Messwert) und diastolischen (unterer Messwert) Blutdrucks. Die Ursache ist in 90% der Fälle nicht bekannt und wird als „essentielle Hypertonie“ bezeichnet. Bluthochdruck ist nur bei rund der Hälfte aller Betroffenen diagnostiziert. Bei zwei Dritteln dieser Menschen erfolgt trotzdem keine entsprechende Therapie. Einige Symptome sind: Allgemeine Unruhe und Nervosität, pochende Schläfen und pulsierende Kopfschmerzen, Schwindel – oft in Verbindung mit Ohrensausen und Flimmern vor den Augen, gerötetes Gesicht bei geringer Anstrengung, Nasenbluten, Atemnot, Herzbeschwerden. Seine „Einstellung“ erfolgt hauptsächlich durch die Verabreichung von Medikamenten. Dabei kann man neben Lebensstiländerung, Entspannung und Psychotherapie besonders durch Qigong positiv auf seinen Blut(-hoch)druck einwirken, wie auch in kritischen Reviews (=Übersichtsartikeln) betont wird.
In einer Übersichtsarbeit aus 2008 beurteilten Guo und Kollegen (4) 92 randomisierte, kontrollierte Untersuchungen zum selbständigen Üben von Qigong bei Bluthochdruck mit dem Hauptaugenmerk auf Veränderungen des systolischen und diastolischen Blutdruckes. Es wurden schließlich neun dieser 92 Studien mit einer Gesamtanzahl von 908 Teilnehmern in die Datenanalyse eingeschlossen. Die Untersucher fanden eine durchschnittliche Senkung des systolischen Bluthochdrucks um 17.03 mmHG ( 95% confidence interval (CI) 11,53-22,52) der Qigongübenden im Vergleich zu Patienten, die nichtspezifische Methoden anwandten (nonspecific intervention controls (NIC)), aber keinen signifikanten Unterschied im Vergleich zu Patienten, welche Medikamente einnahmen (1,19 mmHg, 95% CI -5,40-7,79) bzw. eine andere Form von konventionellen Körperübungen ausführten (-1,51 mmHg, 95% CI -6,98-3,95). Der diastolische Blutdruck sank bei den Qigong Übenden durchschnittlich um 9,98 mmHG (95% CI 2,55-17,41) im Vergleich zu Patienten, die nichtspezifische Methoden anwandten (NIC), aber wiederum gab es keinen signifikanten Unterschied im Vergleich zu Patienten, welche Medikamente einnahmen (2,49 mmHg, 95% CI-0,16-5,13), bzw. eine andere Form von konventionellen Körperübungen ausführten (-1,59 mmHg, 95% CI -4,91-1,74). Es wurden keine Nebenwirkungen gefunden.
Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass selbständiges Üben von Qigong – bereits bei weniger als einem Jahr Anwendung – den Bluthochdruck besser senken kann als bei Patienten, die nichtspezifische Methoden anwenden, aber nicht besser senken kann als bei Anwendung von Medikamenten oder anderen Bewegungsübungen…
Qigong und Krebs
Als Krebs bezeichnet man im Allgemeinen eine aus über 100 unterschiedlichen Ausprägungen bestehende Krankheitsform, bei welcher der normale Vorgang der Zellteilung gestört ist. Der genetisch geregelte „Bauplan“ nach dem sich jede Zelle erneuert gilt nicht mehr, die Zellen wachsen wild, unkontrolliert und zerstörend in umliegendes Gewebe ein und bilden neben bösartigen Tumoren auch Metastasen (Tochtergeschwülste) in anderen Organen. Prinzipiell kann jedes Organ befallen werden. Inzidenz (Neuauftreten) und Mortalität (Sterblichkeit) sind rückläufig, immer mehr Kranke können geheilt werden.
Laut Statistik Austria (2010) erkranken in Österreich jährlich rund 36 000 Menschen neu an Krebs. Die häufigste krebsbedingte Todesursache bei den Frauen ist Brustkrebs, bei den Männern Lungenkrebs. Mehr Information dazu gibt es auf www.statistik.at .
Oh und Kollegen (5) untersuchten 2010 in einer randomisierten und kontrollierten Studie die Anwendung von „medical qigong“ (MQ) im Vergleich mit „usual care“ also herkömmlicher medizinischer Behandlung (ohne diese näher zu definieren) im Hinblick auf „quality of life“ (QOL) = Lebensqualität von Krebspatienten. 162 Patienten mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Krebserkrankungen in unterschiedlichen Stadien ihrer Erkrankung wurden in die Untersuchung eingeschlossen. QOL und Fatigue (krankheits- und behandlungsbedingte Erschöpfung), die Stimmungslage, sowie die Entzündungswerte (C-reaktives Protein) wurden mittels laufender Überprüfung erfasst. In den entsprechenden statistischen Analysen zeigte sich, dass die Teilnehmer der Qigong – Gruppen deutlich bessere – und statistisch signifikante – Werte hinsichtlich QOL (P<0.001), Fatigue (P<0.001), Stimmungslage (P>0.021) sowie der Entzündungswerte CRP (P<0.044) aufwiesen. Daraus ist abzuleiten, dass Qigong sowohl die Lebensqualität als auch die Stimmungslage von Krebspatienten verbessern und spezifische Nebenwirkungen der Behandlung reduzieren kann.
Rosenbaum und Kollegen (2004) (6) fanden ebenfalls, dass die Lebensqualität von Krebspatienten durch Qigong zu bessern war. Im 16-monatigen Beobachtungszeitraum kam es zu 751 Patientenkontakten, also durchschnittlich 47 pro Monat. Von den 334 Tumorpatienten, die das Qigong im Rahmen des Stanford cancer supportive care program (SCSCP) beurteilten, gaben 78% eine Stressverminderung an, 74% eine Verbesserung ihres Wohlergehens, 58% einen Anstieg ihres Energie-Levels und 22% der Teilnehmer berichteten eine Schmerzreduktion.
In einer eigenen Erhebung an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg (Wendtner, 2012) (7) beantworteten 18 Teilnehmende (Tn) Fragen zur Person (Alter, Geschlecht, Beruf, sowie Daten zur Erkrankung und ihrer Behandlung) und zu ihrer Qigongpraxis (u. a. Dauer der Teilnahme an der Gruppe, Motiv, Übungspraxis, Veränderung/Wirkung, Zufriedenheit ). Die durchschnittliche Dauer der Teilnahme an der Gruppe lag bei 37,8 Monaten, 14 (77,8%) der Tn üben regelmäßig in der Gruppe. Keiner der Tn berichtet unerwünschte Wirkungen. Die Zufriedenheit mit den zugeschriebenen/eingetretenen Veränderungen/Wirkungen war hoch (VAS =78,6 mm), ebenso die Zufriedenheit mit den in der Gruppe an der Klinik vermittelten Inhalten, welche 13 (72,2%) der Tn mit sehr gut und 5 (27,8%) mit gut bewerteten. Ausnahmslos jeder der Tn (100%) würde Qigong empfehlen. Immerhin 15 (83,3%) der Tn üben auch zuhause bis zu vier Mal pro Woche. In eigener Sache berichten die Tn persönliche Eindrücke in eigenen Worten, wobei vor allem positive Aspekte der Lebensqualität und des psychischen Wohlbefindens angegeben wurden . Die Angaben der Teilnehmenden bestätigten eine recht realistische Sicht der Dinge, die an Qigong keine Heilungserwartungen stellt. Die Ergebnisse der Erhebung weisen darauf hin, dass Qigong ein nebenwirkungsfreier und kostengünstiger Weg zur Förderung der Lebensqualität von Tumorpatienten und ihren Angehörigen ist, dessen Wirkungen einen hohen Grad an Zufriedenheit mit sich bringen.
Qigong und Diabetes
Diabetes mellitus (DM) , zu deutsch „honigsüßer Durchfluss“, oder auch Zuckerkrankheit, bezeichnet eine immer häufiger auftretende Stoffwechselkrankheit, bei welcher der Leitbefund „zu viel Zucker im Blut“ ist. Dazu kommt es hauptsächlich infolge eines Insulinmangels, einer Insulinresistenz oder eines Zusammenwirkens beider Faktoren. Es gibt unterschiedliche Diabetestypen. Laut ÖDG (Österreichische Diabetesgesellschaft) sind in Österreich rund 600 000 Menschen betroffen, rund
170 000 Menschen wissen noch gar nicht, dass sie bereits Diabetes haben. Zwischen 50 000 und
100 000 Betroffene sind Typ-1 Diabetiker (Autoimmunerkrankung), rund 85% sind Typ-2 Diabetiker. DM Typ-2 entsteht vielfach schleichend durch einen ungesunden Lebensstil – oder vereinfacht formuliert durch zu viel und zu gutes Essen in Verbindung mit zu wenig Bewegung, auch erbliche Anlagen und das Alter sind Risikofaktoren.
Eine von der American Diabetes Association (Guan-Cheng und Kollegen, 2010) (8) publizierte randomisierte, kontrollierte Pilot-Studie lieferte unter methodisch einwandfreien Bedingungen klare Evidenz für eine positive Wirkung von Qigong auf DM Typ-2. Die Effekte von Qigong bei oraler Einstellung des Diabetes, bzw. im Vergleich zu definierter körperlicher Betätigung (PRT = progressive resistance training) bei DMTyp-2 wurden erhoben.
32 Teilnehmer wurden an der Bastyr Universität (Washington) in die Untersuchung eingeschlossen. Sie wurden nach Alter und Geschlecht „gematcht“ d. h. so ähnlich als möglich in der Alters- und Geschlechtsverteilung in drei Gruppen aufgeteilt. Gruppe 1 (n = 11) machte Qigong, Gruppe 2 (n = 10) diente als Kontrollgruppe, Gruppe 3 (n = 11) machte PRT (progressive resistance training) – ein definiertes Krafttraining, das freie Gewichte, Kraftmaschinen und Elastische Bänder zur Muskelstärkung nutzt, um eine körperlich aktive Form als Vergleich zu haben.
Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 56,3 ± 8,1 Jahre. Alle Teilnehmer wurden angewiesen, ihre normale Diabeteskontrolle unverändert weiter durchzuführen. Alle nahmen orale Medikamente, keiner spritzte Insulin. Die Werte für Nüchternzucker, Insulin und A1C – oder in Österreich HbA1C – (Glykohämoglobin = roter Blutfarbstoff, an den Glukose gebunden ist) wurden zu Beginn und am Ende der 12-wöchigen Intervention bestimmt. Die Insulinresistenz wurde mittels des „homeostasis model assessment of insulin resistance (HOMA-IR) index score“ ebenfalls zu Beginn und am Ende der 12-wöchigen Intervention ermittelt. Statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich des Blutzuckers (plasma glucose level) wurden in der Qigonggruppe gefunden (184,9 ± 35,3 vs 161,9 ± 40,5 mg/dl, P = 0,003). Alle Teilnehmer dieser Gruppe wiesen am Ende der Intervention einen niedrigeren Nüchternblutzuckerspiegel auf als zu Beginn. Im Gegensatz dazu stiegen diese Blutzuckerwerte (plasma glucose level) in den beiden anderen Gruppen (nicht signifikant) an: 143,8 ± 35,0 vs. 154,0 ± 44,7 und 156,4 ± 36,6 vs. 168,4 ± 49,1 mg/dl. Der Nüchternblutzucker der Qigonggruppe verbesserte sich signifikant im Vergleich zu dem der PRT-Gruppe und zu dem der Kontrollgruppe (P<0,003 und P<0,001; ermittelt per einseitiger Varianzanalyse ANOVA). Die Werte für A1C (HbA1C) veränderte sich nicht in der Kontrollgruppe (7,9 ± 0,8 vs. 7,9 ± 1,6%), gingen aber sowohl in der PRT-Gruppe (8,6 ± 1,2 vs. 7,9 ± 1,6) und in der Qigonggruppe leicht – nicht signifikant – zurück (8,8 ± 1,1, vs. 8,1 ± 1,3). Die Nüchterninsulinspiegel stiegen sowohl in der PRT Gruppe (24,3 ± 28,8 vs. 30,2 ± 39,9) als auch in der Kontrollgruppe (12,6 ± 4,6 vs. 20,1 ± 10; P = 0,08), veränderten sich aber nicht in der Qigonggruppe (13,3 ± 6,2 vs. 13,4 ± 5,7, nicht signifikant). Obwohl diese Differenzen statistisch nicht signifikant sind, verschoben sich die HOMAR-IR scores vorteilhaft zugunsten der Qigonggruppe (5,3 ± 2,3 vs. 4,7 ± 2,2) aber unvorteilhaft für die PRT-Gruppe (6,60 ± 6,00 vs. 8,91 ± 9,55) und die Kontrollgruppe (4,48 ± 2,30 vs. 7,51 ± 4,21; P = 0,06).
Das Ausführen von Qigong während dieser 12-wöchigen Intervention führte zu einer signifikanten Reduktion des Nüchternblutzuckers bei Patienten mit DM Typ-2 und zeigte Trends (P-Werte über 0,05 gelten als marginal signifikant) in Richtung einer Verbesserung der Insulinresistenz und A1C (HbA1C). Diese Resultate legen nahe, dass Qigong eine effektive komplementäre Therapie für Patienten mit DM Typ-2 ist.
Qigong und Angst, Depression
Noch ist relativ wenig über die Wirkung von Qigong auf Angst, Depression und psychisches Wohlbefinden bekannt. Eine aktuelle Studie aus den USA von Wang und Kollegen (2013) (9) untersuchte 15 Übersichtsarbeiten, die zwischen 2001 und 2011 publiziert worden waren auf die o. a. Parameter hin. Die eingeschlossenen Studien wurden in drei Kategorien gegliedert: Gruppe 1: Gesunde Teilnehmer, Gruppe 2: chronisch Kranke (Bluthochdruck, Krebs, Diabetes), Gruppe 3: depressive Patienten. Insgesamt kamen die Daten von 1154 Teilnehmern mit einem Mindestalter 18 Jahren zur Auswertung. Es ergaben sich statistisch signifikante positive Effekte auf Angst, Depression und psychisches Wohlbefinden bei chronisch Kranken durch das Üben von Qigong.
Qigong und Stress
2008 publizierten Griffith und Kollegen (10) eine Untersuchung zur Reduktion von Stress bei Krankenhauspersonal – ohne die einzelnen Berufsgruppen wie Ärzteschaft, Pflege, Psychologen oder Angehörige anderer Gesundheitsberufe zu unterscheiden. Die psychische und physische Belastung dieser Berufsgruppen ist besonders bei motivierter Arbeitsauffassung sehr hoch. Zu hoher und vor allem chronischer Stress führt zu krank-sein. Psychosomatische und Angsterkrankungen, Depressionen und Burnout nehmen in den letzten Jahren massiv zu.
Ziel der Untersuchung war herauszufinden, ob Qigong ein geeigneter Weg ist, Stress von Krankenhauspersonal zu reduzieren. Dazu wurden die Teilnehmer – Männer und Frauen randomisiert (= zufällig) zwei Gruppen zugeordnet. 16 der Teilnehmer waren in der Qigonggruppe, 21 nahmen in der Kontrollgruppe an der Untersuchung teil. Das primäre Messinstrument war die Perceived Stress Scale (PSS). Weitere Messinstrumente waren die Short Form 36 (SF 36) quality-of-life measure und eine 100 mm analog pain scale (VAS).
In der Qigonggruppe zeigte sich im Vergleich zur Kontrollgruppe eine statistisch signifikante Reduktion des wahrgenommenen Stress (p=0,02). Auf der Subskala „Soziale Interaktion“ zeigte die Qigonggruppe eine höhere Verbesserung (p=0,04) als die Kontrollgruppe. Außerdem kam es in der Qigonggruppe zu einer Schmerzreduktion (p=0,03), in der Kontrollgruppe nicht. Eine Regressionsanalyse zeigte eine Assoziation zwischen höherer Stressbelastung in der Baseline und ausgeprägterer Verbesserung innerhalb der Qigonggruppe (p=0,02) nach sechs Wochen. Die Ergebnisse belegen eine Stressreduktion bei Krankenhauspersonal durch kurzzeitig angewandtes Qigong in der Dauer von 6 Wochen.
Qigong und Burnout
Burnout oder Ausgebranntsein ist ein Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung mit massiv reduzierter Leistungsfähigkeit. Burnout kann als Endzustand eines Entwicklungsprozesses aufgrund körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung infolge beruflicher und auch privater Überlastung verstanden werden. Er wird als Folge von nicht mehr bewältigbarem Stress angesehen, ohne als eigenes Krankheitsbild anerkannt zu sein. Der durch Burnout bedingte persönliche, aber auch der volkswirtschaftliche Schaden der entsteht, ist enorm.
In einer schwedischen Studie von Stenlund und Kollegen (2012) (11) wurden die Effekte eines einjährigen Rehabilitationsprogrammes, welches Qigong inkludierte, nach drei Jahren erhoben (follow-up). 107 Männer und Frauen hatten in zwei Gruppen daran teilgenommen. Eine Gruppe hatte Psychologische Behandlung und Qigong, die zweite ausschließlich Qigong. Beide Gruppen verbesserten sich, die Gruppe mit der zusätzlichen psychologischen Behandlung profitierte signifikant mehr. Sie erholte sich besser vom Burnout (p=0,02), berichtete geringere levels (Ausprägung) von Burnout (p=0,035), hatte mehr kognitive Strategien angewandt (p=0,001) und die antidepressive Medikation deutlicher reduziert (p=0,002). Bezüglich der Dauer der Krankenstände hatte sich kein signifikanter Unterschied ergeben, beide Gruppen hatten profitiert.
Qigong und Taijiquan im Hinblick auf den Gesundheitsstatus in den USA
Komelski und Kollegen (2012) (12) verglichen in den USA den Gesundheitsstatus von 120 Taijiquan und Qigong Übenden (Alter: 24-83 Jahre, M=54,77) mit einem repräsentativen Bevölkerungsquer-schnitt von 414 629 nicht übenden (some exercise, no exercise) US-Amerikanern (Alter: 18-99, M=54,86) im Hinblick auf den Gesundheitsstatus und die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Daten wurden online erhoben. Die Anwender von Qigong und Taijiquan gaben ab dem mittleren Lebensalter einen statistisch signifikant höheren Gesundheitsstatus, sowie eine höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität an. Diese Ergebnisse waren unabhängig von Einkommen und Schulbildung.
Conclusio
Fassen wir zusammen, dann zeigt sich, dass wir in Österreich immer älter werden, knapp die Hälfte aller Österreicher und Österreicherinnen bereits im Erwerbsalter von 15 – 64 Jahren eine oder mehrere dauerhafte Gesundheitsbeschwerde(n) angeben und mehr als drei Millionen von ihnen Medikamente einnehmen. Am häufigsten werden Medikamente gegen Bluthochdruck eingenommen, 550.000 Österreicher (16%) und 715.000 Österreicherinnen (20%) nehmen sie regelmäßig. Von den über 75-jährigen geben etwa zwei Drittel der Bevölkerung (140.000 Männer, 300.000 Frauen) an, chronisch krank zu sein.
Die Hauptursache für Frühpensionierungen sind Erkrankungen psychischen Ursprungs – wofür die in den letzten Jahren vielfach zunehmende Stressbelastung verantwortlich gemacht werden kann (dauernde Erreichbarkeit, existentielle Bedrohung durch Ersetzbarkeit am Arbeitsplatz, Mobbing, Burnout …) – und Rückenschmerzen. Zieht man in Betracht, dass für rund 85% der Rückenschmerzen keine echte medizinische Diagnose wie Bandscheibenvorfall, Osteoporose, Bruch etc. zu stellen ist und durch psychische Erkrankungen verursachte Krankenstände durchschnittlich viermal so lange dauern wie Krankenstände organischen Ursprungs, wird klar dass psychische, psychosomatische und funktionelle Ursachen einen Großteil der Gesundheitskosten verursachen. Gerade hier im Vorfeld – und nicht erst wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist – kann Qigong als „Lebenspflege“ präventiv wirken, viel persönliches Leid verhindern, aber auch Kosten senken, die selbst für eines der besten Gesundheitssysteme der Welt nicht dauerhaft zu stemmen sein werden. Nicht nur das – auch wenn schon Erkrankungen vorliegen, belegen immer mehr und methodisch immer bessere Studien – siehe oben – dass Qigong wirksam zur Linderung von Beschwerden und Leid der Betroffenen beitragen kann. Auch in der Rehabilitation kann Qigong dauerhafte Effekte bewirken, siehe oben.
Betrachtet man die in diesem Artikel zitierte kleine Auswahl an Problembereichen und die sich durch das Üben von Qigong zeigenden Benefits, verwundert es, dass Qigong in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge noch keine nachhaltige Beachtung erfährt, bzw. noch nicht in öffentliche Gesundheitsförderprogramme übernommen wurde. Denn mit Qigong haben wir einen kostengünstigen Weg zur Verfügung, der bei geringer Belastung sogar für cardio-pulmonale Patienten geeignet erscheint und daher auch von älteren Übenden problemlos zu meistern ist. Die mittlere Übungsintensität liegt bei 3,1 MET = Metabolisches Äquivalent: die Beschreibung des Stoffwechselumsatzes eines Menschen bezogen auf den Ruheumsatz im Verhältnis zu seinem Körpergewicht. (Vgl. Chan und Kollegen, 2010) (13).
So kann man Qigong letztlich als einen Weg verstehen, der uns bei geringer Belastung über die Wirkung auf das Vegetativum, auf Psyche und Körper bei wenig Aufwand ein Maximum an Benefit für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden schenkt, von der möglichen spirituellen Entwicklung gar nicht erst zu reden …
Literatur
- Reid, D. (2000). Chi-Gung. Econ Ullstein List Verlag, München
- Zauner-Dungl, A. (2004). Ist Qigong zur Prävention Idiopathischer Wirbelsäulenstörungen geeignet?. Wiener Medizinische Wochenschrift, 154/23-24: S.564-567
- Guo X, Zhou B, Nishimura T, Teramukai S, Fukushima M. (2008). Clinical effect of qigong practice on essential hypertension: a meta-analysis of randomized controlled trials. THE JOURNAL OF ALTERNATIVE AND COMPLEMENTARY MEDICINE. 14 (1), pp. 27-37
- B. Oh, P. Butow, S. Clarke, P. Beale, N. Pavlakis, E. Kothe, L, Lam and D. Rosenthal. (2010). Impact of Medical Qigong an quality of life, fatigue, mood and inflammation in cancer patients: a randomized controlled trial. Ann Oncol 2010 March; 21(3). 608 – 614.
- Rosenbaum, E., Gautier, H., Fobair, P., Neri, E., Festa, B., Hawn, M., Andrews, A., Hirshberger, N., Selim, S. &Spiegel. D. (2004). Cancer supportive care, improving the quality of life for cancer patients. A program evaluation report. Springer Verlag.
- Wendtner, F. (2012). Qigong an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Paracelsus Medizinischen Universität (PMU) Salzburg. Periodikum der Österreichischen Qigonggesellschaft, 32. 1/2012. S. 8 -12. Wien
- Guan-Cheng Sun, Jennifer C. Lovejoy, Sara Gillham, Amy Putiri, Masa Sasagawa and Ryan Bradley. (2010) Effects of Qigong on Glucose Control in Type 2 Diabetes. Diabetes Care, Volume 33, Number 1.
- Wang. F., Man, J. K., Lee. E-K. O., Wu. T., Benson. H., Fricchione, G. L., Wang. W., Yeung. A. (2013). The Effects of Qigong on Anxiety, Depression, and Psychological Well-Being: A Systematic Review and Meta-Analysis. Evidence-Based Complemantary and Alternative Medicine. Volume 2013, Article ID 152 738, 16 pages
- Griffith JM, Hasley JP, Liu H, Severn DG, Conner LH, Adler LE. Qigong stress reduction in hospital staff. (2008). J Altern Complement Med. 2008 Oct;14(8):939-45.
- Stenlund. T., Nordin. M., Järvholm. L. S. (2012). Effects of rehabilitation programmes for patients with long-term sick leave for burnout: a 3-year follow-up of the REST study. J Rehabil Med. 44: pp. 684-690.
- Komelski, M.F., Miyazaki, Y., Blieszner, R. (2012). Comparing the health status of U.S. taijiquan an qigong practitioners to a national survey sample across ages. J Altern Complement Med 2012 Mar; 18(3):281-6
- Chan AW, Lee A, Suen LK, Tam WW. (2010) Effectiveness of a Tai chi Qigong program in promoting health-related quality of life and perceived social support in chronic obstructive pulmonary disease clients. Qual Life Res. 2010 Jun;19(5):653-64.
Weitere Literatur beim Verfasser
Mag. Franz Wendtner, Universitätsklinik für Innere Medizin III der PMU mit Hämatologie, internistischer Onkologie, Hämostaseologie, Infektiologie, Rheumatologie und Onkologisches Zentrum,
Universitätsinstitut für Klinische Psychologie der PMU
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