Kopfschmerzen und Qigong
Wie schon im letzten Periodikum angeführt gehören Kopfschmerzen neben Rückenschmerzen zu unseren häuftigsten Schmerzen. Daher möchte ich sie diesmal zum Thema machen und auf eine Studie zur Wirkung von Qigong auf Kopfschmerzen eingehen. Eine Zusammenfassung der Untersuchung wurde in der Zeitschrift für Qigong-Yangsheng 2003 publiziert. (Qigong-Yangsheng-Übungen in der Begleitbehandlung bei Migräne und Spannungskopfschmerz. Friedrichs, Pfistner & Aldridge, 2003)
Kopfschmerzen
Kopfschmerzen zählen zu den verbreitetsten körperlichen Beschwerden überhaupt. Nahezu jeder Erwachsene und zunehmend auch Kinder berichten, schon einmal Kopfschmerzen gehabt zu haben oder akut darunter zu leiden.
Vier bis fünf Prozent der Bevölkerung leiden an Dauerkopfschmerzen, häufig vergesellschaftet mit Ängsten, Depressionen und Medikamenten-Mißbrauch, meist sind Frauen betroffen (ÄRZTE WOCHE, 18. Jhg., Nr. 7, 2004).
Man unterscheidet primäre Kopfschmerzen wie Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp (KST) sowie symptomatische Kopfschmerzen, wie z.B. Kopfschmerzen, zurückzuführen auf eine Substanz oder deren Entzug. Dabei handelt es sich sehr oft um rezeptfrei erhältliche Analgetika (=Schmerzmedikament). Das bedeutet, daß eben die gegen die Kopfschmerzen eingenommenen Schmerzmittel Kopfschmerzen verursachen können.
Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft IHS (International Headache Society) unterscheidet allein hinsichtlich der drei oben genannten Kategorien mehr als 50 verschiedene Diagnosen.
Migräne
Unter Migräne versteht man einen anfallsartig auftretenden, periodisch wiederkehrenden und überwiegend einseitigen Kopfschmerz, der oft mit Übelkeit und Erbrechen einhergeht.
Migräne kann in jedem Alter auftreten. Man findet eine familiäre Häufung, weswegen man auch davon ausgeht, daß genetische Faktoren eine Rolle spielen. Migräne wird als chronische, ursächlich nicht behandelbare Erkrankung betrachtet.
In Deutschland leiden 16% der Frauen, 6% der Männer und 3% der Schulkinder an Migräne (www.netdoktor.de, 2005).
Die zugrundeliegenden Ursachen für diese Kopfschmerzform sind noch nicht endgültig geklärt. Man geht davon aus, daß verschiedene Neurotransmitter (Botenstoffe im Nervensystem), wie z. B. Serotonin, bei Migräne eine wesentliche Rolle spielen.
Gesichert scheint, daß Teile des Nervus Trigeminus am Geschehen beteiligt sind und die Schmerzattacken über die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren mit gefäßerweiternder Wirkung auf die Arterien und Venen im Gehirn hervorgerufen werden. Daher gilt die Migräne als „vaskulärer Kopfschmerz“. Als Auslöser gelten u. a. Rotwein, verschiedene Käsesorten, grelles Licht, Menstruation, körperliche Anstrengung, Muskelverspannungen und Streß.
So scheinen Migränepatienten weniger gut als andere auf Belastungen zu reagieren, sie stehen unter einer Art Dauerstreß, weil sie infolge von Habituationsproblemen – d.h. sie können sich nicht oder nur schwer an bereits erlebte Reize gewöhnen – in ständiger Vigilanz (=Wachsamkeit) leben. Salopp formuliert können sie nicht abschalten. Daher wirken psychologische Streßbewältigungstrainings prophylaktisch, Entspannungsmethoden wie z. B. die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson auch während einer Attacke.
Kopfschmerz vom Spannungstyp KST (Spannungskopfschmerz)
Sie werden am häufigsten diagnostiziert und sind entweder wiederkehrend (periodisch) oder dauerhaft (chronisch). Typisch für diesen Kopfschmerz ist ein langsamer Beginn und ein beidseitig stumpf und schraubstockartig auftretender Schmerz, der in seiner Intensität zunimmt. Wie schon der Name sagt, sind diese Kopfschmerzen spannungsbedingt, d. h. hier
spielen Verspannungen, häufig vom Nacken ausgehend, eine wesentliche Rolle. Diese Verspannungen lösen eine Minderdurchblutung, damit eine Sauerstoffunterversorgung aus, welche zu einer Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit führt. Das kann seine Ursache sowohl in ständigen Fehlhaltungen – oft beobachtet bei Computerarbeit – haben, als auch in psychosozial bedingtem Streß wie Zeitdruck am Arbeitsplatz oder Kummer, Angst, Sorgen… Kommt beides zusammen, kann sich ein Teufelskreis entwickeln, der für die Betroffenen – und deren Angehörige – eine enorme Belastung bildet und die Lebensqualität massiv beeinträchtigt.
Das führt häufig zur regelmäßigen Einnahme von Schmerzmitteln, welche ihrerseits Kopfschmerzen hervorrufen können. Besonders, wenn es sich dabei um die oft beobachtete Selbstmedikation mit rezeptfrei erhältlichen Analgetika, vor allem Mischpräparaten, handelt.
Sowohl bei Migräne als auch bei KST haben sich wie oben bereits angedeutet, psychologische und psychotherapeutische Herangehensweisen bewährt. So konnte in Studien nachgewiesen werden, daß Spannungskopfschmerz alleine durch die Anwendung der „Progressiven Muskelentspannung – PME“, einer sehr weit verbreiteten und einfach anzuwendenden Entspannungsmethode, bedeutend gemindert werden konnte.
Die Führung eines Kopfschmerztagebuches kann sowohl die Grundlage für eine wirksame Selbsthilfe wie z. B. Qigong, Anmo, Musiktherapie und/oder Entspannung sein, als auch dem Psychologen/Psychotherapeuten oder dem behandelnden Arzt wertvolle Hinweise liefern.
Kopfschmerztagebuch
Ein Kopfschmerztagebuch ist einfach selbst zu erstellen, indem man in einem Kalender Beginn, Dauer und Intensität der Schmerzen einträgt, bei Migräne auch, was gegessen und getrunken wurde. Bei Frauen ist die Angabe des jeweiligen Zyklusstadiums wichtig und ob die Pille genommen wird.
Darüberhinaus sollten parallel auch die eigenen Tagesaktivitäten eingetragen werden, wie hoch der persönlich empfundene Streß war, sowie die ggf. angewandten Analgetika. Auch das Wetter kann einen Einfluß haben. Dieses Kopfschmerztagebuch sollte über einige Wochen geführt werden. Auf diese Weise erhält man ein Profil des Schmerzverlaufes, anhand dessen eventuelle Zusammenhänge erkennbar werden.
Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung eines standardisierten Kopfschmerz- oder Migränetagebuches und einer VAS (Visuelle-Analog-Skala), mittels derer man die jeweilige Schmerzstärke angeben kann.
Info dazu beim Hausarzt, bei mir oder unter www.schmerzinstitut.org .
Nun zur eingangs angeführten Untersuchung zur Wirkung von Qigong bei Migräne und Spannungskopfschmerz von Friedrichs, Pfistner und Aldridge (2003).
Qigong bei Migräne und Spannungskopfschmerz
Da immer wieder Teilnehmer berichteten, daß sich ihre Kopfschmerzen nach längerer Übungspraxis (Qigong – Yangsheng) erheblich gebessert hatten, entstand im Arbeitskreis „Qigong in der Medizin“ der Gedanke, eine Forschungsarbeit zu diesem Thema durchzuführen.
Bei dieser Untersuchung handelt es sich um eine prospektive, multizentrisch angelegte Pilotstudie. Der international gültigen Rangordnung der vierstufigen Einteilung der Evidence-Based-Medicine folgend handelt es sich dabei um eine „einarmige Phase II Studie“. Das heißt, es ging hierbei nicht um die Beweisführung der untersuchten Methode, sondern darum, Hinweise für ihre Wirksamkeit zu finden, die Durchführbarkeit festzustellen und geeignete Meßinstrumente zu bestimmen. Erst in einem zweiten Schritt würde dann aufgrund der Ergebnisse der ersten Studie der Versuch der Beweisführung unternommen werden – das wäre dann der „zweite Arm“.
Ziel
Das Ziel der Studie war herauszufinden, ob Qigongübungen eine wirksame Begleitbehand-lung bei Migräne und Spannungskopfschmerz sein können.
Methodik
Die Studie erfolgte in Zusammenarbeit mit und finanzieller Unterstützung durch die Medizinische Gesellschaft für Qigong Yangsheng und die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur. Sie war multizentrisch an 11 verschiedenen Orten angelegt, es waren 13 KursleiterInnen und verschiedene PrüfärztInnen beteiligt. Teilnehmer, welche die Untersuchung, die über mehrere Monate lief abschlossen, erhielten einen Teil der Kursgebühren erstattet.Von den anfänglich 166 Interessenten blieben letztlich 95 (90 davon Frauen) auswertbare Teilnehmer. Als diagnostische Instrumente dienten u. a. der Fragebogen des Schmerztherapeutischen Kolloqiums (StK) am Beginn der Studie, sowie drei Verlaufsfragebögen während der Durchführung und ein Schmerzkalender, der neben dem Schmerzverlauf auch das Übungsgeschehen erfaßte.
Der Ablauf der Studie folgte im wesentlichen den Empfehlungen der IHS zur Durchführung von Studien.
Ablauf
Nach einer Baseline (=Leerphase) von vier Wochen folgte ein achtwöchiger Kurs mit einem Termin á 90 Minuten pro Woche. Es wurden die ersten sechs Übungen der
„15 Ausdrucksformen des Taiji Qigong“ nach dem Lehrsystem von Professor Jiao Guorui unterrichtet. In den folgenden acht Wochen gab es keinen Kurs, es wurde selbständig geübt.
Anschließend kam es zu einem identischen Wiederholungskurs, in welchem die Teilnehmer wieder für acht Wochen unterrichtet wurden. Daran schloß sich ein Follow-up (kein Kurs) von vier Wochen.
Ergebnisse
Bezogen auf alle 95 auswertbarenTeilnehmer reduzierten sich die Schmerztage im Median (der Median oder Zentralwert halbiert bei aufsteigender Sortierung der Meßwerte die Meßreihe, d. h. 50% der Meßwerte liegen über und 50% der Meßwerte unter dem Median.) um einen Tag. Bei 27 Teilnehmern reduzierten sich die Schmerztage um mindestens 50%.
Beim überwiegenden Anteil der Teilnehmer nahm die Lebensqualität zu, die durch die Kopfschmerzen subjektiv wahrgenommene Behinderung ab.Die Mehrheit der Teilnehmer hatte nach eigenen Angaben mehrmals pro Woche für jeweils mindestens 10 Minuten geübt.
Ein Jahr nach Studienbeginn – also außerhalb des Studienablaufs – wurden 32 Personen angeschrieben und gebeten, noch einmal einen Monat Kalender zu führen, sowie einen Fragebogen zu bearbeiten. Von den 25 Personen die antworteten, gaben 19 an, nach wie vor mehrmals pro Woche zu üben. Bei ihnen hatte sich die Anzahl der Schmerztage, der Schmerzanfälle und die Schmerzintensität nach dem Ende der Studie im wesentlichen nicht mehr verändert, also weder weiter verbessert, noch sich wieder verschlechtert.
Diskussion
Die Ergebnisse, welche aufgrund des Untersuchungsdesigns als deskriptiv (beschreibend) zu verstehen sind, weisen deutlich auf eine Wirksamkeit der untersuchten Qigongübungen als begleitende Therapie hin. Es ergaben sich klare Verbesserungen hinsichtlich des Schmerzgeschehens und der Lebensqualität, wobei die Autorin darauf hinweist, daß dieses Ergebnis infolge der kleinen Stichprobe im statistischen Sinn nur eingeschränkt aussagekräftig ist. Doch ist darauf hinzuweisen, daß das regelmäßige Üben bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Studie auf eine hohe Akzeptanz der Methode hindeutet, ebenso die Ergebnisse der Nachfolgebeobachtung. Inwieweit die Übenden ihr tatsächliches Schmerzempfinden wahrheitsgemäß eingetragen haben, wurde nicht untersucht, dies geschieht aber in der Regel ebensowenig bei Patienten in Medikamentenstudien, sofern diese nicht unter Klinikaufsicht ablaufen. Darüberhinaus sind auf der Selbstauskunft der Teilnehmer beruhende Angaben in der klinischen Schmerzforschung unverzichtbar.
Wäre in dieser Untersuchung die Wirkung eines prophylaktischen Medikamentes untersucht worden, läge die Ansprechrate noch nicht im Bereich der erwünschten Wirksamkeit, da in den Richtlinien zur Erforschung der Therapie von Migräne und Spannungskopfschmerz eine Placeborate von 20 – 40% angenommen wird (Guidelines for trials of drug treatments in tension-type headache, first edition, Cephalalgia 1995, 15: 172).
Allerdings sind diese Werte internationale Empfehlungen und nicht zwingend vorgeschrieben. Darüberhinaus ist kritisch zu hinterfragen, ob bei der Beurteilung nichtmedikamentöser Therapieformen und hier besonders bei übenden Verfahren, das Konzept „Placebo“ aus der medizinsch-pharmakologischen Forschung einfach übernommen werden kann. Dazu noch einige Zeilen von der Verfasserin der vorgestellten Arbeit: „… Die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften eines Medikaments verraten selten etwas von der Wirkung und darauf beruht die Möglichkeit, bei Medikamentenstudien die Wirkung des Medikamentes mit einem scheinbar wirkenden Medikament zu vergleichen, dem „Placebo“.
Bei Qigongübungen dagegen ist eine solche Unterscheidung von sinnlicher Wahrnehmung und Wirkung nicht möglich. Hier spielt das „Gefallen“ (der eigentliche Sinn des Wortes „Placebo“), das Einlassen auf die Übungsform und die Übungsinhalte für den therapeutischen Erfolg eine große Rolle. Es läßt sich deshalb hier nicht in gleicher Weise ein Scheineffekt prozentual quantifizieren bzw. überhaupt ausmachen wie bei einem Medikament.
Auch eine Verblindung der Therapie, bei der weder Patient noch Therapeut wissen, wer ein wirksames Medikament erhält und wer ein Placebo, ist bei einer Untersuchung über die Wirkung von Qigongübungen auf ein Krankheitsgeschehen nicht möglich: Sowohl Therapeut wie Patient sollten wissen, was sie tun. … Aktive Mitarbeit, Erwartungshaltung und Gefallen der Probanden an der Therapie sind erwünscht.“ (Friedrichs et. al, Z Zeitschrift für Qigong-Yangsheng. f. Q-Y S. 110, 2003).
Schlußgedanken
Diese elaborierte Pilotstudie liefert klare Evidenz dafür, daß Qigong eine wirksame supportive und adjuvante Herangehensweise in der Behandlung von Kopfschmerzen sein kann. Aber nicht nur diese, auch Untersuchungen von Zhang, 1996 und Melchart et al, 1997, liefern Belege für die Wirksamkeit von Qigong bei Kopfschmerzen, Rückmeldungen von Teilnehmern aus eigenen Kursen ebenfalls. Daher erscheinen weitere Studien – besonders auch im Hinblick auf die Kostenexplosion im Gesundheitswesen – nicht nur sinnvoll, sondern dringend angeraten.
Bleibt mir noch zu sagen, daß bei allem Bezug zu Forschung, Dualität und Wirknachweisen in meinen Beiträgen doch gilt, daß der Mensch nicht in allen seinen Dimensionen für die Wissenschaft erreich- und meßbar ist.
Und so sei diesem scheinbaren Übergewicht der westlich angelegten Wissenschaft – ohne damit eine Wertung oder Reihung auszudrücken – ein Zitat von Chuang-tzu zu Seite gestellt:
„…“Dieses“ ist auch „Jenes“. „Jenes“ ist auch „Dieses“ … die eigentliche Essenz des Tao ist, daß „Jenes“ und „Dieses“ aufhören, Gegensätze zu sein. Die Essenz allein, als Achse gleichsam, ist Mittelpunkt des Kreises und reagiert auf die endlosen Wandlungen…“ (Chuang-tzu, zitiert nach Fritjof Capra, 1986).
Literatur beim Verfasser