Qigong bei Rückenschmerzen
Mag. Franz Wendtner, August 2005
Diesmal ist mein Beitrag weniger wissenschaftsbezogen angelegt als gewohnt, er soll eher ein Überblick mit Rückmeldungen sein.
Vielleicht können wir so Menschen, die Qigong bisher wegen ihrer Schmerzen mieden, erreichen und sie ermutigen, es doch einmal zu versuchen …
Denn in der TCM wird Schmerz immer als Blockade des Qi begriffen und gerade durch Qigong können wir Energieflußstörungen lindern oder langfristig sogar beheben.
Rückenschmerzen
Rückenschmerzen – neben Kopfschmerzen die häufigsten Schmerzen – führen sehr oft zu Langzeitbehinderungen. Sie sind in Großbritannien der größte Einzelfaktor für Arbeitsunfähigkeit. In den Industrienationen berichten rund 56% der im Arbeitsprozeß stehenden Bevölkerung, im vergangenen Jahr Rückenschmerzen gehabt zu haben.
In Deutschland gehen 4% der gesamten Arbeitskraft durch Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Rückenschmerzen verloren. Die USA, Kanada, Schweden und die Niederlande berichten ähnliche Zahlen. In den USA sind Rückenschmerzen und Schmerzen im Bereich der oberen Extremität und des Halses bei Menschen unter 70 Jahren der häufigste Grund für eine stationäre Behandlung.
Auch in Österreich belegen entsprechende Statistiken eine ständige Zunahme von Krankenständen infolge von „Störungen des Bewegungs- und Stützapparates“ und wie in den USA führen sie auch in Österreich die Statistiken der Versicherungen als die häufigsten chronischen Erkrankungen an.
Doch betrachtet man das Phänomen Rückenschmerzen genauer, findet man, daß nur für ca. 15% aller Rückenschmerzen eine eindeutige medizinische Diagnose besteht.
Anders gesagt leiden rund 85 % der Patienten an sogenannten „idiopathischen Rückenschmerzen“, deren Ursache nicht neurophysiologisch oder organdiagnostisch faßbar ist.
In Studien finden sich allerdings immer wieder Menschen in den Kontrollgruppen, die mit sehr wohl medizinisch faßbaren Diagnosen morphologischer Veränderungen, die für Rückenschmerzen verantwortlich gemacht werden, (fast) beschwerdefrei leben.
Es ist also offensichtlich, daß nicht ausschließlich körperliche Belastungen und Probleme als Auslöser für Rückenschmerzen in Frage kommen, es dürften sowohl psychische wie auch funktionelle Aspekte eine tragenden Rolle spielen. Die Bedeutung energetischer Aspekte ist nicht ausreichend erforscht.
Allerdings berichten chinesische Studien, daß Rückenschmerzen bei Menschen, die regelmäßig Qigong üben, wesentlich seltener auftreten.
Es ist davon auszugehen, daß Qigong sowohl zur Prävention wie zur Therapie von Rückenschmerzen geeignet ist, denn: „… Betrachten wir die Körperhaltung beim Qigongtraining, so ist sie mit den Empfehlungen der modernen Haltungsinstruktionen weitgehend ident. Das Fließgleichgewicht von phasischer und tonischer Aktivität kann nur durch das Gesetz der reziproken Innervation ungestört erhalten werden. Qigongübungen werden diesen bewegungsphysiologischen Grundsätzen in vollem Ausmaß gerecht. Qigong erfüllt alle Kriterien der modernen Präventionsrichtlinien für idiopathischen Rückenschmerz.“ (Zauner-Dungl, 2004)
Die Körperhaltung beim Qigong ist charakterisiert durch ein lockeres, achsengerechtes Stehen, wie wir es aus der Grundhaltung, dem Zhanzuang, kennen. Daraus entwickeln wir die runden, fließenden Bewegungen, mittels derer wir in innerer Achtsamkeit und durch beharrliches Üben das Qi ins Fließen bringen und zur wohltuenden Wirkung gelangen.
Wichtig auch für die betagteren Semester unter uns, denn mit zunehmendem Alter kommt es bei vielen Menschen zu Haltungsveränderungen und –störungen, die Schmerzen verursachen und über die Schonhaltungen, welche die Betroffenen einnehmen, zu Fehlhaltungen die langfristig erhebliche Beschwerden verursachen.
So auch bei Hanna K., 81 Jahre alt. Sie berichtet: „Seit ich Qigong übe, bin ich beweglicher geworden und habe ein anderes Lebensgefühl bekommen.“ (zit. nach Düwal, 1998).
Sponylitis ankylosans (Morbus Bechterew)
Bei Spondylitis ankylosans handelt es sich um eine in Schüben verlaufende, überaus schmerzhafte entzündliche Versteifung der Wirbelsäule, die im Spätstadium zu einer charakteristischen Verkrümmung der oberen Wirbelsäule nach vorne (Brustkyphose) führt. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Diese chronische Erkrankung gehört in den Rheumatischen Formenkreis und ist bisher nicht heilbar, kann aber in jedem Stadium zum Stillstand kommen. Ursache oder Grundlage der Erkrankung scheint eine krankhafte Reaktion des Immunsystems zu sein, was genau der Auslöser der chronischen Entzündung ist, konnte noch nicht geklärt werden.
Patienten, die an Spondylitis ankylosans leiden, können von Qigong profitieren, denn ihre reduzierte Beweglichkeit ist – wie bei den alten Menschen – kein Hinderungsgrund, Qigong zu üben.
Nach dem Prinzip: Das Qi folgt der Vorstellung reichen vielfach nur angedeutete Bewegungen. Die Verinnerlichung der jeweiligen Übung und ihre Vorstellung in der Visualisierung sind wesentlicher als die Perfektion der Ausführung.
Somit gilt keine noch so ausgeprägte Versteifung der Wirbelsäule als echtes Hindernis, Qigong zu üben. Die jeweiligen Übungen werden eben so gut es geht, ausgeführt und „was real nicht geht, geht mental …“. In der Vorstellung, der Visualisierung, die im Qigong so bedeutsam ist.
Neben der Wirkung der rein mechanischen Aspekte wie „Heben und Senken, Öffnen und Schließen etc.“ kommt es bei den Qigong übenden Betroffenen längerfristig zu einem anderen Körperbild, einer anderen, positiveren Einstellung zu sich selbst und ihrem Körper, der oft so schmerzhaft wahrgenommen wird.
So berichtet Herr Josef Hauser, ein Betroffener aus Salzburg in einer persönlichen Mitteilung, über Qigong einen sehr guten Zugang zum Körper gefunden zu haben. „Es gibt mir sehr viel Kraft und ich bin in der Lage, meinen Schmerzpegel zu senken.“
Und Helmut Hartl, Obmann der Selbsthilfegruppe „Morbus Bechterew Salzburg“ betont: “Qigong wirkt beruhigend. Bechtis finden eh´ kaum zur Ruhe, sie sind immer aktiv und vom Schmerz hochgradig psychosomatisch belastet. Mit Qigong können sie sich etwas Gutes tun.“
Aus Cuxhaven berichten Qigong übende Betroffene unter anderem, daß ihre Bewegungen weicher, die Koordination besser und die Harmonie zwischen Ich und eigenem Körper deutlich wurde…
Für manche von uns sind gerade körperlich spürbare Mißhelligkeiten, Kranksein oder Schmerzen Anlaß, sich mehr und auf eine andere Weise als bisher mit sich selbst zu befassen. Ansätze zu suchen, (wieder) zu mehr Lebensqualität zu gelangen. Qigong kann ein solcher Weg sein.
In der Literatur finden sich bei zunehmender Qualität der Studien mehr und mehr Hinweise für wohltuende und naturwissenschaftlich meßbare Wirkungen. Und zwar sowohl in der Prävention, ergänzend zur Therapie als auch in der Rehabilitation – aber kaum Belege für unerwünschte Wirkungen. Eine weitere Bestätigung für die Anwendbarkeit von Qigong in jeder Lebenslage.
Ob nun gesund oder krank, jung oder alt – wir alle können im übergeordneten, ganzheitlich sich entwickelnden Prozeß, der durch regelmäßiges Üben in Gang kommen kann, nicht nur dazu beitragen, gesund zu bleiben, wieder gesund zu werden oder einfach Linderung unserer Beschwerden zu erlangen, wir können auch persönlich weiterkommen und uns entwickeln. Denn die Wirkungen von Qigong beschränken sich nicht auf die mittlerweile in Studien untersuch- und meßbaren Parameter. Und so ist der Bogen weit gespannt …
Salzburg, August 2005
LITERATUR:
Zauner-Dungl, A. (2004). Ist Qigong zur Prävention Idiopathischer Wirbelsäulenstörungen geeignet?, Wiener Medizinische Wochenschrift, 154/23-24: S.564-567
Düwal, H. (1998). Aufrichtung und Beweglichkeit im Alter. In: Das Qi kultivieren – die Lebenskraft nähren. Hrsg.: Hildebrandt. G., Geißler, S. & Stein, S. Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft Uelzen )
Weitere Literatur beim Verfasser
BÜCHER:
AKUPRESSUR: (ISBN 3-7742-6377-9), 2004, Franz Wagner, Gräfe und Unzer Verlag GmbH, München.
Klein für die Jackentasche, um Beschwerden von Angst bis Zahnschmerzen per Fingerdruck zu lindern.
DEN GEIST VERWURZELN: (ISBN 3-87569-179-2), 2. Aufl. 2004, Josef Viktor Müller. Verlag Müller und Steinicke, München.
Die Namen der Akupunkturpunkte als Bindestriche der Psychosomatik.
GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE. (ISBN 3-424-00874-5), 2000, C. G. Jung, Richard Wilhelm. Diederichs Gelbe Reihe, Hugendubel, München.
Erstmals 1929 erschienen, mehrfach überarbeitet, liegt in dieser Ausgabe erstmals der vollständige Text der “Goldenen Blüte” vor und ist direkt aus dem Chinesischen übersetzt.
Mit einer Einführung von C. G. Jung, Texten und Erläuterungen von Richard Wilhelm und ergänzenden Übersetzungen von Barbara Hendrischke
SETZ DICH HIN UND TUE NICHTS: (ISBN 3-453-21166-9) 3. Aufl. 2004, Li Zhi Chang, Wilhelm Heyne Verlag, München
Das Buch der Entspannung. Übungen des Stillen Qigong mit vielen Fotos.