Qigong und Yoga
Ergebnisse einer Literaturrecherche
Franz Wendtner
Im folgenden Artikel wird eine Übersicht zur Anwendung und Wirkung von Qigong und Yoga übersetzt und gekürzt vorgestellt. Wie immer ist die Ursprungsarbeit kostenlos bei pubmed downloadbar, so dass jeder kritische Leser die Möglichkeit hat, sich sein eigenes Bild zu machen.
Boaventura et al führten eine 2022 in Pubmed veröffentlichte Literaturrecherche zu Qigong und Yoga durch. Zu diesem Zweck wurden 145 Studien zum Thema eingeschlossen, die Suchbegriffe waren „Yoga und Qigong“. Die Autoren kommen zum Schluss, dass Qigong und Yoga ähnliche Wirkungen haben. Das Ziel der Arbeit war, einen Überblick über die gesundheitliche Nutzung und den gesundheitlichen Nutzen dieser beiden Wege zu geben.
Die Ergebnisse sind infolge der Heterogenität hinsichtlich der Gruppengrößen, Dauer und Häufigkeit der Übungen, der unterschiedlichen Stile etc. eher als Erhebung und Abbild der aktuellen Situation zu sehen, obwohl vorwiegend systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen, sowie RCT´s (randomized controlled Trials = Goldstandard wissenschaftlicher Untersuchungen) zur Auswertung herangezogen wurden. Einzelfallstudien wurden ausgeschlossen.
Qigong und Yoga
Beide Wege entspringen Jahrtausende alten Praktiken und basieren auf vergleichbaren Konzepten von vitaler Lebensenergie – Qi und Prana. Beide betonen drei gemeinsame Komponenten: Die Dehnung von Sehnen und Bändern, sowie der Muskeln, die Atmung und die Ruhe des Geistes. Während Qigong aus dem chinesischen Taoismus hervorgegangen ist, hat Yoga seinen Ursprung in den alten vedischen Schriften Indiens. Yoga habe seinen Ursprung eher in spiritueller Praxis, Qigong eher in der Erhaltung von Gesundheit und in den Kampfkünsten. Yoga ist im Westen wesentlich bekannter als Qigong, was seinen Ursprung wohl darin hat, dass es erst in den späten 70er/frühen 80er Jahren (Zöller, Hinterthür, Prof. Cong Yong Chun, Wenzel …) nach Deutschland und Österreich kam und Yoga bereits Ende des 19. Jahrhunderts durch Swami Vivekananda und in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts durch Paramahansa Yogananda in den USA bekannt gemacht wurde. 1957 entwickelte Swami Vishnudevananda in den USA erste Konzepte, wie Yoga in Kursen und Zentren vermittelt werden konnte. Dagegen wirkten erst 1970 die ersten Taiqijuan Lehrer in Deutschland, Qigong wurde durch Frau Dr. Zöller in den frühen 80er Jahren bekannt. 1981 erhielt Christl Proksch den ersten Lehrauftrag für Taiqijuan an der Universität Bremen, zu Beginn der 90er Jahre wurde die Deutsche Qigong Gesellschaft gegründet, 1994 gab es erste Kongresse zu Qigong. Aktuell (August 2024) finden sich in Pubmed zu Qigong 1139 Einträge und zu Yoga immerhin 7449. Darüber hinaus sei es leichter, Unterricht in Yoga als in Qigong zu bekommen. Als eine mögliche Erklärung nennen die Autoren, dass Yoga im Westen deutlich länger bekannt ist und aggressiver beworben wird als Qigong. Yoga scheine eine höhere Anziehungskraft auf Frauen zu haben, Qigong eher auf Männer. Sowohl Yoga als auch Qigong werden im Westen bevorzugt – sowohl alternativ, als auch ergänzend/begleitend – in der Behandlung chronischer Zustände/Probleme angewendet.
Ergebnisse
In der Folge werden Ergebnisse zu verschiedenen Untersuchungsschwerpunkten vorgestellt – ohne im spezifischen auf Qigong oder Yoga einzugehen, da beide als MBT´s (Mind-Body-Therapies) angesehen werden. Im Original, das ich wie immer interessierten Lesern empfehle, finden sich die Literaturangaben zu den einzelnen Untersuchungen, so dass sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann.
Immunsystem und Entzündung
In verschiedenen Untersuchungen wurden positive Wirkungen (= Reduktion) auf Entzündungsparameter wie: C-reaktives Protein CRP, IL-1 beta, IL-6 und TNF-alpha gefunden. Auffällig war, dass, auch wenn keine signifikanten (=statistisch bedeutsamen) Veränderungen der Entzündungswerte gefunden wurden, sich verschiedene Symptome und tw. auch der Gesundheits-zustand der Patienten besserten .
Schmerzen im unteren Rücken (low back pain)
In der Mehrheit der entsprechenden Studien zeigte sich eine Schmerzlinderung, eine Verbesserung der psychischen Situation und ein gehobenes Energieniveau. Außerdem wurde eine Verringerung der der Herz- und Atemfrequenz beobachtet, sowie eine Zunahme der Rumpfmuskelkraft und des Bewegungsumfanges.
Psychische Probleme, Lebensqualität
Man fand positive Wirkungen auf: Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, emotionale Traumata, Angsterkrankungen, Schlaflosigkeit, Aufmerksamkeit, Konzentration, generell auf kognitive Funktionen, Stimmung und Lebensqualität.
Herz-Kreislauf Erkrankungen, neurologische, Atemwegs- und Stoffwechselerkrankungen
Qigong und Yoga senken den systolischen und diastolischen Blutdruck, zeigen unterstützende Wirkung bei neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, MS, Demenz und Neuropathien und auch positive Effekte hinsichtlich der Genesung von Schlaganfällen. Darüber hinaus zeigten sich signifikante Verbesserungen bei COPD (eine schwere Lungenerkrankung) und Asthma, sowie Diabetes mellitus Typ 2, hier in der glykämischen Kontrolle des HbA1c (Langzeitzuckerwert, der in der Messung den durchschnittlichen Blutzuckergehalt der letzten 3 Monate angibt).
Krebs
Hier wurde gezeigt, dass Qigong und Yoga positiven Einfluss u. a. auf die Lebensqualität, psychische Befindlichkeit, Schmerzen, Immunparameter, Fatigue (Erschöpfung), Schlafstörungen und kognitive Beeinträchtigungen haben.
Menopause
Sowohl Qigong als auch Yoga bewirken positive Effekte auf perimenopausale Beschwerden auf somatischer, psychologischer und urogenitaler Ebene. Es wurden Verbesserungen der körperlichen Funktionen, des individuellen Gesundheitszustandes, der körperlichen Schmerzen, der allgemeinen Vitalität und der psychischen Befindlichkeit gefunden.
Wirkmechanismen
Qigong und Yoga wirken – naturwissenschaftlich betrachtet – über den Einfluss auf unser autonomes Nervensystem, das Vegetativum. Es reguliert über Sympathikus (Aktivität) und Parasympathikus (Ruhe, Regeneration) unsere unwillkürlichen Körperfunktionen. Optimalerweise pendelt es anforderungsbezogen zwischen Aktivität und Ruhe und gelangt nach Anstrengung/Stress wieder in die Homöostase (= optimales Funktionsgleichgewicht) – was in unserer leistungsbezogenen Zeit und Umwelt – Stress, ständige Erreichbarkeit in Beruf und Urlaub, social media… – nur schwer erreichbar erscheint, so dass eine ständige Leistungsbereitschaft einen echten Eintritt in die Ruhe be- um nicht zu sagen ver-hindert.
Beobachtet wurden außerdem in unterschiedlichen Studien sogar morphologische (Morphologie = die Lehre von Gestalt, Form und Struktur) Veränderungen im Gehirn. MBT´s bewirken u. a. die Regulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (= Stressachse), eine verminderte Aktivität der Amygdala (Angststeuerung, Ausschüttung von Stresshormonen) und des cingulären Cortex (Entscheidungsfindung, Angstregulation, emotiononale Bewertung von Schmerzen…). Weiters wurden veränderte Gen-Expression, Änderungen in der mitochondrialen Funktion (Mitochondrien = „Kraftwerke“ in den Zellen) und eine besseren Schutzfunktion der Telomere (= eine Art Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen) gefunden. Diese Aufzählung zeigt nur einen kleinen Ausschnitt des gegenwärtigen Forschungsstandes.
Einschränkungen und Ausblick
Bezüglich der Forschung bleibt die Inkonsistenz hinsichtlich der Stichprobengrößen, der jeweiligen Übungsdauer und deren Häufigkeit, der Verwendung unterschiedlicher Stile aus unterschiedlichen Schulen und die tw. fehlende/ungleiche Verblindung zu kritisieren. In der Auswertung ergab sich ebenfalls, dass mehr Forschung zu Yoga als zu Qigong durchgeführt wurde und wird und darüber hinaus die meisten yogabezogenen Studien an jüngeren und gesunden Probanden (Livestyle?) aus Indien und den USA und die meisten qigongbezogenen Studien mit älteren und kranken Probanden in China und den USA durchgeführt wurden – alles Parameter, die eine Vergleichbarkeit und Objektiverbarkeit der Ergebnisse erschweren.
Die Autoren kommen zum Schluss, dass Qigong wesentlich weniger bekannt ist als Yoga und die allgemeine Präferenz sich auch deshalb mehr dem Yoga zuwendet.
Literatur
Yoga and Qigong for Health: Two sides of the same coin?
Paula Boaventura123, Sónia Jaconiano4, Filipa Ribeiro12
Behav Sci (Basel) 3. Juli 2022; 12(7):222. DOI: 10.3390/BS12070222.
Weitere Literatur beim Verfasser